Home Email Scroll Top Custom

Gedanken zu “Ulysses” von James Joyce -2-

Vieles ist über James Joyces erzählerischer Technik des Bewusstseinsstroms, des streams of consciousness, im Ulysses geschrieben worden. Er selbst hat sich darüber in einer Stellungnahme zu einem 1887 erschienenen Roman von Edouard Dujardin geäußert: „Der Leser sähe sich von den ersten Zeilen an in das Denken der Hauptperson versetzt, und nur dieser ununterbrochene Fluss des Denkens, der die übliche Form der Erzählung vollständig ersetzen würde, würde uns darüber informieren“.

Was Joyce mit der üblichen Form der (fiktionalen) Erzählung meint, ist uns als Leser von Romanen z.B. des viktorianischen Zeitalters bekannt. Die Gedanken, die inneren Wahrnehmungen und Gefühle der Protagonisten sind üblicherweise in den Formen der direkten, der indirekten oder der erlebten Rede wiedergegeben. Vornehmlich in grammatikalisch und syntaktisch einwandfreien ganzen Sätzen. Es ist dabei stets ein Erzähler unmittelbar identifizierbar. Ein auktorialer Erzähler z.B. weiß über die Gedankenwelt seiner Figuren vollständig Bescheid und führt sie uns in indirekter Rede vor Augen. Ab und an lässt er seine Figuren selbst zu uns sprechen, in direkter Rede sich selbst zitierend, oder in erlebter Rede, die die Innenschau einer Erzählfigur unvermittelt aufblitzen lässt in einem ansonsten distanzierten Duktus der Erzählweise.

Joyce spricht oben vom ununterbrochenen Fluss des Denkens und setzt dabei voraus, dass sich das Denken eines Bewusstseins, auch in dessen Stadien wie Traumzustand, Schlafzustand, Hypnagogie oder Trance sprachlich fassen lässt, vom komatösem Zustand einmal abgesehen. Ob er dabei unterstellte, dass wir als Zuschauer des Denkens eines wachen Bewusstseins auch einen Sinn oder eine Bedeutung daraus ableiten können?

Jacques Derrida sagt, nicht das Bewusstsein ist der Ursprung des Sinns, sondern die Sprache. Nicht der Sinn geht der Artikulation voraus, sondern die Artikulation dem Sinn.

Wenn dem so ist und Bewusstsein ohne Sprache keinen Sinn enthält, so ließe sich weiter sagen, dass nur ein Bewusstsein, das mit Sprache oder Artikulation in eins fällt, Sinn erzeugt, oder Sprache immer schon Sinn ist. Auch das Brabbeln eines Kleinkindes deutet Sinn an, oder das Stammeln, das Stottern, das Delirierende usf. Ein Bewusstsein, das nicht an Sprache gekoppelt ist, ist ein leeres Gefäß und bedeutet nichts. Man kann es vielleicht nicht einmal Bewusstsein nennen. Insofern geraten der Autor, die jeweilige Erzählinstanz in der Dichtung und auch der Leser immer schon in die Falle der Sprache, falls es um die Produktion eines Sinns, einer Bedeutung, einer Information geht und um deren Rezeption. Eine Binse, sicherlich, andererseits eine erzählerische Herausforderung an James Joyce, Sinn auch dort noch aufscheinen zu lassen, wenn fernab syntaktischer und grammatikalischer Regeln gedacht resp. gesprochen wird. Bis hin zu lautmalerischen Äusserungen.

Wenn Sprache Sinn andeutet, in welchen reduzierten und rudimentären Ausformungen auch immer, und Bewusstsein ohne Sprache keinen Sinn ergibt, so erachte ich den Begriff stream of consciousness als obsolet. Man sollte ihn ersetzen durch unmittelbare, stille, innere Rede. Sie ist unvermittelte Erzählinstanz und Erzähltes in einem. Sie erzählt in persönlichen Idiomen, mit willkürlichen Wortbildungen, Sprachspielen, assoziativen Verknüpfungen und meist ohne Zeichensetzung. „Tatsächlich denken wir meist überhaupt nicht in grammatikalischen Sätzen, was schon mit der ungeheuren Schnelligkeit, mit der gedacht wird, nicht vereinbar wäre, sondern die Gedanken wälzen sich, rollen und passieren vorüber. Hier ist kein Erzähler mehr am Werk, der die Gedanken ordnet und strukturiert. […]“ (Kurt Tucholsky, 1927.

3 Comments

  1. Ich weiß nicht, ob ich Tucholsky bzw. Derrida da ganz folgen kann. Ich denke, dass das Bewußtsein ohne Sprache auskommt. Die Sprache ist nur ein Vehikel, dass dem Bewusstsein zur Kommunikation dient. Ich halte es aber für wahrscheinlich, dass diese auch ohne Sprache möglich ist. Dennoch halte ich die Sprache für ein enorm mächtiges Werkzeug und durchaus dazu geeignet, den Bewußtsein Strom zu bedienen, selbst wenn dies durch Schreiben passiert.

  2. Ich glaube nicht, dass Sprache als Vehikel des Bw gesehen werden kann. Sprache ist jene Struktur, der das Bw folgen muss bzw. die Bw konstituiert. Sie ist platt gesagt die Grammatik des Denkens, wie ungrammatisch sie auch immer sein mag. Ohne die verbale Sprache und jene der Bilder (ikonographische Sprache) gibt es kein Denken und somit Bewusstsein. Ich finde Derrida völlig einsichtig.
    Du hast den Clou des stream of consciousness einsichtig dargestellt, lieber Achim.
    Mit herzlichen Grüßen vom Meer
    Klausbernd 🙂

Hinterlasse mir gerne einen Kommentar

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Translate »
%d bloggers like this: