Auge um Auge

Blut folgt auf Blut. Das ist der Preis, den zu zahlen hat, wer sich dem Antrieb zum Frieden in den letzten ca. 75 Jahren verweigerte. Die Geschichte der Gewalt scheint des Blutzolls zu bedürfen, damit das Mitgefühl, diese instabile Gefühlsregung, sich nicht in die Sphäre des Handelns aufmachen kann. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Bis es nichts mehr zu sehen und zu beißen gibt.

Wo sind die vertrauenswürdigen Makler, die Anwälte der Schutzbedürftigen, die in der Lage wären, die Mauern niederzureissen, hinter denen sich die blinde Wut verschanzt, die so tut, als wären Rachsucht und Vernichtungswille die seligmachende Ultima Ratio des Fortgangs eines in Beton gegossenen Konfliktes?

Wo der Eifer, die Empörung und das somnambule gute Gewissen vorherrschen, steht die Vernunft in der Kulisse und suhlt sich im verlockenden Gefühl der Selbstabdankung. Bilder, die Abstoßendes zeigen, locken und entfalten Lust und Abscheu zugleich. In uns gibt es ein Verlangen nach dem Anblick von Erniedrigung, Schmerz und Verstümmelung, eine Liebe zur Grausamkeit. Damit sagt man nicht zu viel, gehört all das doch zur Grundausstattung des Menschlichen, wie die Liebe und das Mitgefühl andererseits auch.

Es gibt das Grauen und wir können mit ihm nur leben, wenn wir es als Allegorie einer Schulhofschlägerei betrachten. Als eine medial angefachte Theateraufführung, in der die Rolle des Schurken klar umrissen ist, seine Verantwortung eindeutig zuordenbar und wir, wenn der Vorhang fällt, in den Hafen der Katharsis segeln. Was dann noch zu tun bleibt? Sich mit dem Odem des Gerechten ins Bett zu legen und zu glauben, wir hätten damit der Gerechtigkeit genüge getan. Am Ende des konsumierten Overkills von Bildern und Reden steht die Erschlaffung des Gewissens und des ausgewogenen Urteils.

Wo also ist der Chor jener Friedensmakler? In der griechischen Tragödie war er die Instanz der gerechten und rechtsprechenden Götter, zumindest stellte er eine vermittelnde Instanz dar, die das Korrektiv bildet der Verirrungen und Verwirrungen der Menschenkinder. Diese seine Funktion hat heutzutage abgedankt. Es gibt nur den einen Gott, behaupten die Konfliktparteien. Wo es doch zu viele davon gibt, und nicht nur religiöse. Und der politische Gott der Vernunft hat sich in den Wüsten neben die Sündenböcke gestellt, anstatt diese zu erlösen.

Den Weg aus dem Unheil zum Frieden zu weisen ist der gordische Knoten, der allenfalls von den Blockfreien und Blockmächten gemeinsam durchschlagen werden kann. Aber jene moralische Instanz, die diese an den Verhandlungstisch zwingen könnte, ist weit und breit nicht zu sehen. Vom papiernen Tiger der UNO ganz zu schweigen.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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One comment

  1. Es gab ja diesen Vorstoß Brasiliens im UN-Sicherheitsrat, aber zwei der Großen enthielten sich und einer sagte NEIN.
    Dein Hinweis auf die griechische Tragödie ist sehr passend. Troja kommt mir in den Sinn. Euripides “Troerinnen”. Franz Werfel hat sie nachgedichtet.

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