Das Buch der lächerlichen Liebe

Es gab mir jemand einen Rat. In Anbetracht meines vorgerückten Alters sei das Schreiben von Liebesgedichten wie geträufeltes Wasser auf die Mühlen der abnehmenden Leidenschaft, eine inwendig gekehrte Tat, versehen mit einem Hauch von Verzweiflung. Es sei das Aufscheinen der Melancholie am Horizont dahingleitender Emotionen, aus dem die Erfahrung der Liebe schon längst herausgefallen ist. Ich sollte doch davon lassen.

Es mag sein, dass es dies alles ist. Und der Ratgeber zu seiner Einschätzung zwingend aufgefordert wurde durch die Art und Weise, im Ton und der Form, wie diese Gedichte geschrieben sind. Auch ein Gedicht weist über den Schreibenden weit hinaus. Es gibt die Sinnstellen in ihm, die dem Schreibenden unbewusst oder kaum bewusst sind. Die Lesende weiß stets zu wenig oder auch mehr, was an Sinngehalten im Gedicht steckt. Manchmal verfehlt der Schreibende den anvisierten Sinn und die Leser machen sich einen anderen Reim darauf. Würde ich je einen Gedichtband veröffentlichen wollen, ich würde ihm den Titel Das Buch der lächerlichen Liebe geben. Ich halte nichts von Ratschlägen. Nichts von ihnen, wenn sie mir nahelegen von Dingen zu lassen, die mir wichtig sind.

Liebe ist eine Kategorie der Welteroberung. Und in dieser Welt ist der Versuch, das eigene Herz kennenzulernen verbunden mit der Kenntnisnahme des anderen Herzens. Man kennt den eigenen Gefühlshaushalt bestehend aus Hoffnung, dem Gelingen und dem Scheitern. Ich begreife das Scheitern nicht als etwas, was außerhalb der Liebe geschieht. Zur Liebe gehört ihr Scheitern. Es ist eine wesentlich der Liebe eingeschriebene Signatur. Es ist mit ihm wie mit dem Weinen eines Kindes, das mit der mählichen Eroberung der Welt immer wieder an seine Grenze stößt und diese doch immer weiter verschiebt. Und die Melancholie scheint für mich diejenige Emotion zu sein, die beides abzubilden vermag: Die Trauer um meine Vergänglichkeit und das intensive Glücksgefühl, die verbleibende Zeit nach Gutdünken nutzen und füllen zu können, das Scheitern inbegriffen.

Die Liebe muss sich rückhaltlos auf ihr Objekt stürzen. Daraus zieht sie ihre Berechtigung. Am Objekt der Liebe zu zweifeln tötet mehr Träume als das Scheitern der Liebesunternehmung selbst. Mag sein, dass ich mich in diesen Jahren mehr mit dem Scheitern der Liebe beschäftige als mit ihrem Gelingen. In früheren Jahren waren es Formen der Liebe, die man entweder als bloße Einbildung, als Erfahrung ihres Aufscheinens oder als Hochstand ihrer Blüte umschreiben könnte. Jedoch ist das Gelingen immer die Voraussetzung des Scheiterns. So wie die Stärke die Voraussetzung für die Zerbrechlichkeit ist. Ich mag keine Ratschläge bezogen auf mein Selbst. Der oben erwähnte Ratgeber bin ich selbst und ich stelle mir vor, der publizierte Gedichtband hieße Das Buch der lächelnden Liebe.

5 Comments

  1. Lieber Achim,
    Das Gute an den inneren Ratgebern, entstanden aus Selbstschutz und Risikoversicherungsanbietern, ist, dass sie bei entsprechender Minderheit im Oberhaus leicht durch eine Mehrheit der Herz- und Gesundheitsopposition überstimmt werden können.
    Während die Ratgeber noch heiß über ein möglicherweises Gelingen von eventueller Liebe debattieren, scheitert diese geduldig ein ums andere Mal und steht aber insgesamt über allem mit einem hartnäckigen: Na und?
    Redet ihr alle mal schön…die Chefin bin immer noch ich und Liebe nimmt sich alle Zeit der Welt. Fröhlich um die Ecke grinst dieweil Paulus und tritt der Herzpiratenpartei mit einem bereits aus einer ausgerissenen Bibelseite bestehenden und gründlich vorbereiteten Antrag bei.
    Lächerlich macht die Liebe sich ohne darüber nachzudenken, was denn lächerlich sei – sie ist so frei…Sie lächelt höchstens über sich selbst. Mei mei…

    Könnte ich denn bitte die ISBN-Nummern Deiner beiden Gedichtbände bekommen, sobald sie erscheinen? Das sollten sie nämlich unbedingt. Die Welt braucht dringend mehr Liebesgedichte, lächerliche und lächelnde bitte auch.

    Liebe Grüße
    Amélie

  2. Liebe Amelie,

    wenn es nach den Evolutionswissenschaftlerinnen geht, ist die Liebe ja nichts weiter als bio-chemisches Konstrukt, notwendig zur Arterhaltung. Sogar die Eifersucht spielt aus dieser Perspektive betrachtet eine gewichtige Rolle dabei. Der Mann streut seinen Samen, die Frau steuert die Gebärmutter bei. Und das alles angefacht durch das Belohnungszentrum im Gehirn und diversen glückinduzierenden Botenstoffen. Meiner Art zu lieben ist dieser physiologische Unterbau recht egal. Woher die Empfindungen kommen, was sie anfacht, ist mir vollkommen schnurz. Der geistige, ideelle Überbau ist mir da viel wichtiger. Kreativität durch Glücksempfindung, die auch geistig empfundene Lust an der körperlichen Liebe und die dadurch gewonnene Vertrautheit zueinander, dieses sind Dinge, die wiederum zurückwirken auf das ganze Spektrum körperlicher Gesundheit und des Wohlbefindens. Paulus‘ Hohelied der Liebe drückt das sehr schön aus, wie ich finde. Love is the Boss😊 Du kennst ja meine Einstellung zur Publikation. Ehestens könnte ich mir eine Veröffentlichung als selbst produziertes E-Book vorstellen.

    Herzliche Grüße
    Achim

  3. Der Titel ist umwerfend. Und Zweifel und Ratgeber, die Widerstände aufbauen, sind manchmal gute Begleiter, auch wenn sich das nicht immer so anfühlt.

Hinterlasse mir gerne einen Kommentar

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Translate »

Discover more from A Readmill of my mind

Subscribe now to keep reading and get access to the full archive.

Continue reading