Das Böse wird im Krieg lediglich fortgesetzt. Es keimt dort nicht ursachlos auf. Es ist lächerlich zu behaupten, es fände in Kriegen allein seine Domäne und unser Entsetzen darüber sei insofern gerechtfertigter und die Moralität, welche in der Verdammung des Bösen im Krieg ihren Höhepunkt erreicht, hätte einen besonderen, nur in Jubeljahren stattfindenden, empörerischen Höhepunkt verdient.

Die moralische Empörung und das auf den Siedepunkt gebrachte Entsetzen kann man als Ablasshandel begreifen, mit dem wir das Gute in uns aufscheinen lassen können, als sei dieses eine Art individuelle Singularität, die uns schon immer von dem Bösen scheidet, von ihm ganz unbefleckt. Das Böse ist nach Immanuel Kant dem Menschen immanent. Es ist Teil unserer Natur. Da es in uns immer und überall schlummert, erfährt seine Verdammung in Zeiten des Kriegs eine heuchlerische Grundierung, als gäben wir vor, nicht zu wissen, dass es in uns selbst schläft und auf seine Stunde wartet. Es sei denn wir hätten Mitleid gelernt und würden es nicht verlernen, in Zeiten, in denen Nationen, Gesellschaften und Familien zu den Waffen greifen. Das Mitleid, als die Fähigkeit, das Leid anderer Menschen (oder auch Tiere) zu teilen. Das macht für Arthur Schopenhauer die wahre Grundlage der Moral aus. Das heißt, dass (u.a.) im Krieg das individuelle Handeln nach Kants kategorischem Imperativ nicht möglich ist, wenn es nicht zugleich auf Mitleid sich berufen kann.

Welchen Sinn hat es überhaupt, auf die Vernunft zu setzen, angesichts eines Bösen, das aller Vernunft trotzt? Im Krieg implodiert das Vernunftdenken nicht. Im Gegenteil, Vernunft ist zu Bösem fähig. Die Kriegsparteien decken sich mit jeweiligen vernünftigen Gründen ein und sie berufen sich immer auf jeweilige moralische Prinzipien, und Nützlichkeitserwägungen, aufgrund derer sie ihre Handlungen als gerechtfertigt erachten.

David Hume führt das Regelwerk der Moral und die Tugenden und Maximen, die sich durch alle Formen der Gesellschaft ziehen, auf ein einziges, alles begründendes Prinzip zurück: die Nützlichkeit. Moral sei nicht von Gott bestimmt und dem Menschen sozusagen in die Wiege gelegt. Was gut und was böse ist, wird allein dadurch festgelegt, ob die Gesellschaft ein Verhalten schätzt oder missbilligt. Dies vorausgesetzt, ist im Krieg die Durchsetzung des Bösen aus den Erwägungen einer Nützlichkeit erlaubt. Und diese Erwägungen erlauben es, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die UNO stets zugunsten der jeweiligen kriegsführenden Parteien interpretiert werden kann. Moralische Urteile über das Böse sind nicht unverrückbar wie bspw. die Regeln der Mathematik, wie es Descartes und in seinem Gefolge Kant postulierten.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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15 Comments

  1. das böse wird im krieg systemisch. nein, das böse ist schon immer systemisch. das böse wird nicht wirklich verstanden. so wenig wie das gute.

  2. Lieber Achim,
    spielen in unseren nihilistischen Zeiten gut und böse überhaupt noch eine Rolle? Die Relativierung von gut und böse vertritt bereits Mephistopheles im Faust. Wir halten gut und böse für überholte moralische Kategorien, die uns nicht helfen, Geschehen einordnen zu können.
    Liebe Grüße von der sonnig warmen Küste
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

    • Lieber Klausbernd,

      das von dir Gesagte ist ja auch der Inhalt meines Beitrags. Da geht ja kein Blatt zwischen uns. Und was die nihilistischen Zeiten angeht, ich habe da noch Hoffnung. Woher ich diese nehme, kann ich selbst kaum angeben.

      Liebe Grüße nach Cley und schöne Ostertage für die fab four.

      Achim

  3. Genau das steht ja in diesem Artikel, dass Kategorien nicht zur Einordnung taugen, und so ist es wohl nicht nur im Extremfall Krieg, sondern immer, dass zwischen den abstrakten Polen, die gut und böse heißen, eine sehr große Vielfalt an Zwischentönen existiert, am besten vermittelt durch so etwas wie Mitleid, man nennt das, was dann in Gang gesetzt wird Auseinandersetzung, Ringen um Lösungen. Genau das fehlt mir derzeit schmerzlich!

    • Liebe Falterin,

      Da sind wir uns unbedingt einig. Aber vielleicht ist das Mitleid als Verfasstheit unserer Mitmenschlichkeit in Zeiten des Krieges
      das erste Opfer.

      Liebe Grüße
      Achim

  4. Lieber Achim,

    „Das Böse beginnt dann, wenn der Mensch sich nicht in andere hineinfühlt. Menschen, denen das Einfühlungsvermögen in andere fehlt, können diese auch quälen, vergewaltigen und töten.” Das sagt jedenfalls der österreichische Gerichtspsychiater Reinhard Haller.

    Dieser Aussage könnte ich schon einmal zustimmen und denke so über all die Leute nach, die ihr Leben führen, als gäbe es außer ihnen niemand anderen.
    Oder aber sie begrenzen ihr Einfühlungsvermögen nur auf ihren engsten Kreis und der Rest ist ihnen egal.
    Es laufen genügend dieser Leute herum.
    Goya hat im spanischen Bürgerkrieg das Böse gemalt und es als etwas Gewöhnliches und als etwas Gemeines dar gestellt, das in jedem Menschen vorhanden ist und sichtbar wird, wenn er sich seinen Emotionen unkontrolliert überlässt.

    Und von David Hume las ich, dass
    ” im Leben der Völker das einzelne Volk nur dann gedeihen kann wenn es auch allen Nachbarvölkern gut geht, und wie das Interesse der Staaten es erheischt, daß nicht nur innerhalb jedes einzelnen Staates Ordnung herrsche, sondern auch die Beziehungen der Staaten unter sich gut geordnet werden müssen, so ist es auch im Leben der Wissenschaften.“

    Dies erfordert Einfühlungsvermögen in andere Menschen, in andere Länder und Kulturen. Und es erfordert die Erwiderung dieses Interesses wie in jeder guten und funktionalen Beziehung…Sobald die Gier nach mehr Macht, nach mehr Einfluss und sobald die Angst aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus die Oberhand gewinnen, geht jedes Einfühlungsvermögen verloren, zusammen mit der Vernunft. Das ist Invasion und aus ihr heraus entsteht die schön geredete, die zurecht gebogene Moral, darin einen “Sinn” oder eine “Nützlichkeit” erkennen zu wollen, um jeden Preis und die für sich das willentliche Berauben, Töten, Gefangennehmen und das Quälen von Menschen erklärt, entschuldigt und es wissentlich in Kauf nimmt.

    “Das Böse” ist Legion, es ist viele, es ist Wegsehen, es ist die Weise, etwas subjektiv und einseitig zu betrachten, es ist auch der Abgrund der Angst, es ist die Gier, der Neid, es ist das Unbewusste in uns allen Schlummernde, das sich der Kontrolle zu entziehen trachtet. Und es ist das Unangenehme, das niemand gerne sehen und sich eingestehen mag…
    Unter der Kellertreppe eines jedes Menschen wohnt das böse, das niedere, das gemeine, das hohnlachende, einsame oder verbitterte dunkle Monster, das nur darauf lauert, von ihm Besitz zu ergreifen…
    Doch nicht jedem Menschen ist das klar.
    Und nicht jeder pfeift oder singt im Dunkeln…

    Liebe Grüße
    Amélie

  5. Das Böse dem Krieg gleichzusetzten bedeutet ihn nicht zu verstehen. kriege entstehen nicht durch das Böse, sondern durch große wirtschaftliche Verwerfungen, die sich gleichen den Spannungen, die sich in einem Erdbeben entladen. Die Dummheit der Menschen verhindert, vorher eine Lösung zu finden.

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