Wenn Vögel reden würden, könnten sie nicht fliegen

Das Jetzt ist eine raffinierte Lüge und jedes bewegliche Objekt im Universum ist sein eigenes Metronom. Der Eine geht an der unendlichen Sehnsucht nach dem Morgen innerlich zugrunde. Der Andere, in seiner Vorfreude auf die Zukunft, überspringt leichthin ganze Äonen und heiligt den Zeitpunkt, aus dem diese Freude ihren Ausgang nahm. Der Einen ist die Last einer Stunde schon zuviel, dagegen die Andere im Ereignishorizont von schwarzen Löchern kreisen möchte, an denen es keine Zeit mehr gibt. Wir können nicht in unsere eigene Zukunft reisen, nur in die Zukunft aller anderen.

Und wie spät ist es jetzt, wenn jeder nach der je eigenen Uhr lebt, denn wir bewegen uns unterschiedlich schnell durch unsere Räume, und die Zeitabweichungen von einem zum anderen existieren in den Bereichen von Nanosekunden, aber sie existieren. In unseren Augen zieht sich der Raum derer zusammen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, während der Raum des Beobachters nicht schrumpft. Die Lichtgeschwindigkeit ist die Grenze, die wir nicht überwinden können. Denn wenn wir es könnten, wäre es möglich den Zeitstrahl umzukehren. Wir könnten in die Vergangenheit reisen, bis zum Rand des Ereignisses, den wir den Urknall nennen.

Dort friert der Flügelschlag des Vogels ein, wie aber auch sein Sprechen, obwohl ihm dort vielleicht beides zugleich möglich wäre, denn an diesem Ort von Zeit und Raum gäbe es die Gleichzeitigkeit der hiesigen Ungleichzeitigkeit.
Wir sind in Zeitmaschinen unterwegs. Jene, die uns zurückgehen lassen, nennen wir Erinnerungen. Solche, die uns die Zukunft verheißen, nennen wir Träume. Beide treten nie gleichzeitig auf.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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3 Comments

  1. Die Zeit der Insekten ist auch eine andere. Es gibt einen Laufkäfer, die 700 km/h schnell ist bezogen auf seine Grösse. Das kann nur gelingen, wenn er in einer eigenen “Zeitdimension” lebt. Unsere Zeitdimension ist uns neuronal vorgegeben. Sie könnte auch enger gefasst sein, ist es aber nicht.

  2. die vögel haben sicher eine andere wahrnehmung von dem allen. und fliegen noch mal eine andere. manchmal wünsche ich mir, ich könnte diese wahrnehmungsposition der anderen geschöpfe einnehmen… nein. es geht nicht, wenn ich ehrlich bin. auch die zeit bleibt meine zeit. trotz aller fantasie. mit gedichten kann ich an meine grenzen stoßen. ich stoße mich wund. ich genieße diesen süßen schmerz. die zeitmaschine befördert mich von meiner geburt bis zu meinem tod. an meine geburt kann ich mich nicht erinnern. und mein tod… der ist kein traum. der tod entsteht bei der geburt. wenn auch nicht genau zeitlich fixiert.
    wenn ich sage, dass ich bereits tot bin, lebe ich intensiver als die meisten menschen, die ihren tod nicht wahrnehmen.

  3. Diese verschiedenen Geschwindigkeiten bei Menschen allein sind auch schon interessant. Ich glaube, dass auch jemandes Geschwindigkeit darüber entscheidet, ob ich mit jemandem klarkomme oder nicht. Das Tempo muss stimmen. Es muss nicht mein Tempo sein, aber es muss damit vermittelbar sein (davon abgesehen, bin ich zum Beispiel morgens ein langsamerer Mensch als um 15.00 Uhr).
    Auch die Geschwindigkeitswahrnehmung von Medienplattformen mag variieren: trotz fortlaufender Bewegung werde ich den Eindruck nicht los, dass Twitter letzten Endes ein statischer, wenigstens rückwärts laufender, Apparat ist, während ich vielleicht ein Buch aus den 1920er oder 1830er Jahren aufschlagen und sofort spüren kann, dass da eine Zeitgenossenschaft besteht, wenn man sich nur ein paar Einzelheiten anders denkt.

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