Ein Liebeslied in lächerlichen Zeiten

Ich bin es müde, sagst du, drehst dich zur Seite. Ich höre deine Träume. Sie halten mich wach. Mein Arm über deiner Schulter ist kraftlos, ausgezehrt. Wen kann er halten, fragst du uns in deinen Träumen. Den Teil von uns, sage ich, der immer schwächer wird, den Teil aller anderen.

Wird es enden? Bald, jemals? Putzen gewinnt Zeit, Honig und Seife gewinnen sie, ich streichele deine Ellenbogenkuhlen, Zeitgewinn. Ach, sagst du, bleiben wir ruhig. Du umfasst meinen Arm, bis es schmerzt. Wir haben Äpfel und Reis, Regale voller Bücher, den gemeinsamen Abwasch, der uns näher bringt, ein erotisches Geplänkel, wenn wir so aneinander stehen, als würden wir beischlafen.

In unseren Köpfen ein tonloser Ton. Ein Vibrieren. An der Hausfassade Soldaten, die alles versiegeln, unser Herz, deine Brüste, meine Zunge. Du sagst, das also ist er, der Griff ins Herz der Finsternis. Die Hiobsbotschaft, durch das Schlüsselloch geflüstert. Wir halten uns, im Land der letzten Dinge. Ein letzter Gang, ein Blumenkelch, der sich nicht öffnet oder schließt.

Bis alles kippt. Und es Sinn mache, sagst du, zu verstehen, dass eine Zeit komme, in der es verlockend erscheint, sich den Tod zu erkaufen wie davor die Heilung. Es Sinn mache, beiden einen gleichen endgültigen Sinn zu unterstellen.

Ich denke wir werden blind, wenn die Augen zuhause bleiben. Der Augenblick der Phantasie, in dem dein Schoß mehr ist als anschwellende Röte und meiner mehr als harter Zugriff. Du sagst, jetzt verstehe ich die Notwendigkeit von Märchen, wenn der Wahnsinn auf der Schwelle steht. Und das Reden Überleben bedeute. Selbstgespräche in der Dunkelheit wären das Ende der Würde, Ströme ohne Mündung, ungedroschenes Stroh. Eine Lache, Wasser oder Blut, es mache keinen Unterschied. Du sagst, dass ohne Wissen weder Hoffnung noch Verzweiflung möglich seien und unsere Verzweiflung sei die nach außen gerichtete Suche nach den Schuldigen.

Draußen die halbe Sonne, entschleunigt, ihr Gang wie verlängertes Warten. Geduld, so lange dauernd wie der Weg zum Opferstock, eine halbe Münze, deren Klingeln verhallt.
Taschentücher segeln zu Boden, wir trotten im Krebsgang und lauern auf die Sortimente, die sich schleichend füllen wie Kriegskassen.
Ein Seufzen kommt auf. Du sagst, was wird sein, wenn die letzte helfende Hand auf die helfende Hand wartet? Ich werde sie halten, sage ich.

© Achim Spengler

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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8 Comments

  1. Lieber Achim,
    diesen großen Gänsehauttext von Dir kenne ich bereits und er beeindruckt mich heute genauso -wenn nicht noch mehr wie vor ca. 2 Jahren, als ich ihn zum ersten Mal las und hinterher mit nassen Augen dasaß. Er passt mir heute sogar noch trefflicher in diese auf den Kopf gestellte Welt als damals, weil er in so vieler Hinsicht verwendbar ist, Sinn stiftet und das Allerbeste daran ist das versöhnliche und liebevolle Ende.
    Füllen wir die Kriegskassen also mit Hoffnung und halten unsere Herzen schön warm. Das funktioniert sogar ohne Frackinggas, ohne Strom und die Emissionen sind absolut klimafreundlich.
    Herzwärme statt Fernwärme könnte mein Motto lauten.
    Ganz liebe Grüße zu Dir
    Amélie 🌱

    • Das Merkwürdige dabei ist, dass ich diesen Text gar nicht mehr auf dem Schirm hatte und ich heute seiner ansichtig wurde, als ich meinen Blog nach etwas ganz anderem durchforstete. Ich schrieb diesen Text im März 2020, anlässlich des Umsichgreifens von Corona und dem was es mit mir machte. Der Ukraine Krieg hat in mir ähnliche Gefühle ausgelöst und ich denke, dass dieser Text für mich ähnlich stimmig ist wie damals, wenn es um meine Ängste und Zweifel geht, und darum wie wir es schaffen könnten, Zuversicht zu bwahren.

      Liebe Grüße, du Aufmerksame 🙂

      Achim

  2. Ich schrieb heute, dass mein Glauben, meine Hoffnungen tiefe Risse bekommen haben. Dein Text ist ein Licht in mein Dunkel hinein. Danke dafür, lieber Achim. Und doch bleibe ich traurig.
    Herzliche Grüße
    Ulli

    • Da vor fast 14 Tagen mein Vater gestorben ist, ist meine Trauer verdoppelt. Ich habe kaum Worte dafür, was in der Ukraine jede Minute passiert. Der Krieg sei grausam, redet man sich ein. Der Krieg ist keine Naturkatastrophe, er ist menschengemacht. Der Mensch ist grausam, wir wissen es alle. Insofern ist der Krieg der absolute Ausdruck des grausamen Menschen. Was mich stört sind jene fast mitleidlosen Erklärungsversuche dieses Krieges, die als höchster Ausdruck eines Zynismus zu begreifen sind, wenn man konstatiert, dass Putin zu diesem Krieg vom Westen unausweichlich gezwungen wurde.

      Danke für deinen Kommentar, liebe Ulli.

      Achim

      • Lieber Achim, mein tiefes Mitgefühl zum Tod deines Vaters!

        Es freut mich, dass auch du nicht uneingeschränkte Sicht auf den “bösen” Putin teilst, ich finde das Ganze sehr komplex, auch wenn ich ihn und seine Art des Regierens so gar nicht mag. Aber diese Arroganz des Westens und der Natostaaten gefällt mir genauso wenig und auch nicht, dass jeharelang Geflüchtete an irgendwelchen Grenzen scheiterten und in elendigen Lagern festgehalten werden und nun diese offenen Türen und Tore für die Ukrainer=innen. Wie müssen sich die Menschen aus den anderen Staaten (Syrien, Afghanistan, Jemen etc.) jetzt fühlen? Das frage ich mich jeden Tag.

        Ganz herzliche Grüße, Ulli

        • Ich glaube, du hast mich missverstanden. Für das, was Putin der Ukraine antut, ist ausschließlich Putin selbst verantwortlich. Er ist durch nichts zu rechtfertigen. Im Gegenteil. Putin ist einer Fehlkalkulation zum Opfer gefallen. Er hat mit der Uneinigkeit der NATO Länder untereinander gedealt. Er hat u.a. mit der Schwäche Deutschlands gedealt, das ihm unentwegt einen Sonderweg in der Betrachtung der Ost-West Konfliktlage angeboten hat, durch unsere Geschichte bedingt und unserer Selbstverpflichtung, nie wieder einen Krieg auf europäischem Boden zuzuzlassen. Er hat mit dem Brexit gedealt. Mit der Trump-Präsidentschaft usw. Aus seiner Perspektive sieht die Realität heute anders aus. Jetzt erst ist die Bedrohungslage Russlands tatsächlich enorm angewachsen, militärisch, wirtschaftlich und in Bezug auf seine Rolle als Weltmacht, die in den nächsten Jahren auf eine Art und Weise diminuiert werden wird, die weitere Eskalationen seinerseits nicht ausschließen kann.

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