Edward Hopper -Eine Etüde

Edward Hopper - Solitude

Ich stelle mir vor, Edward Hopper lebte noch. Der große amerikanische Maler von Stilleben der Einsamkeit und der Verlassenheit. Inzwischen xy Jahre alt, im siebten Stock eines Mietshauses hausend, mit freiem Blick auf Ground Zero. Die Arthritis in den Händen quält ihn. Seine Kurzsichtigkeit erzeugt Grimm und Arbeitswut zugleich. Seine Schwerhörigkeit begrüßt er als Bollwerk gegen die lärmende Stadt. Seine Füße tragen ihn nur noch innerhalb der Radien seiner karg möblierten Wohnung. Maldrang, manisch, von kurzen Nickerchen unterbrochen. Die Nächte sind wie Tage und seine Imbisse die eines Singvögelchens. Eine Zugehfrau versorgt ihn mit dem Nötigsten. Brot und Wasser, Pinsel, Ölfarben, Leinwand, Terpentin, Tabletten gegen die depressiven Verstimmungen. Die Kunstgazetten wissen von seinem Entschluss, sich das Leben zu nehmen, sobald ihm die Malerei zur körperlichen Qual wird oder ihn wahlweise Ekel vor ihr überkommt. Zeit wird kritisch, der Kunstmarkt schließt Wetten ab über seinen Tod.

Meine Phantasie schwärmt von warmen Sommerabenden in Cape Cod. Ich sehe mich neben ihm sitzend, an der Küste, im Schatten seiner hoch aufgeschossenen Gestalt und seiner Staffelei, wenn er mit unverrücktem Blick sein Motiv ins Auge fasst. Worte werden keine gewechselt. Das Bindeglied zwischen uns ist meine närrische Verliebtheit in die Farbsinfonien, die er auf die Leinwand zaubert. Dazu muss erwähnt werden, dass ich mich in unzähligen Investitionen an den Rand der Pleite spekuliert habe und die Hoffnung auf finanzielle Erholung habe fahren lassen müssen.

Jetzt ist es Winter und meine Besuche bei Edward häufen sich. Wenn er nicht malt, sitzen wir über einem Tee in seinem Arbeitszimmer, genießen das Kaminfeuer und reden über den Tod. Ich biete Edward den Kauf seiner zukünftigen Bilder zum Durchschnittserlös seiner dreißig zuletzt in Galerien verkauften an. Er lächelt und sagt, dass er mich mag, mir in meiner verfahrenen Situation gerne helfen möchte. Wir teilen uns eine aufgewärmte Suppe, es mangele ihm an nichts, sagt er, er könne mir das Geld für seine nächsten zehn Werke vorstrecken, vom Erlös jedes einzelnen verkauften könne ich meine Schuld bei ihm abtragen, danach müsste ich sehen, wie ich das nächste Bild und so fort zu finanzieren in der Lage wäre. Geld, welches ich danach vermutlich nicht ausreichend haben werde, um mein weiteres Leben auskömmlich gestalten zu können, ohne die weitere Aussicht auf enorme Profite. Schließlich könnte jedes Bild von ihm das letzte sein und welcher wohlbetuchte Sammler könnte der Versuchung widerstehen, sich in den Besitz von Edwards letztem Werk zu bringen? Er sagt, das Leben sei ein Risiko, das sich erst in Phasen äußerster Verzweiflung bemerkbar macht. In unserem Fall würde es sich auf unseren Schultern gleichmäßig verteilen. Ich nicke zustimmend. Wir trinken Absinth und im flackernden Licht des Kaminfeuers studiere ich sein von Wind und Sonne gegerbtes Gesicht. Wir genießen unser Zusammensein, denn es hat etwas von Seinsvergessenheit und Verschlossenheit, in der die Welt da draußen nichts zu suchen hat.

Hier ist mein Risiko, hebt er an, ich habe es gerade erkannt. Als er es sagt fällt sein Blick auf mich, ein weiser Blick aus dunklen Augen. Ich frage ihn, von welchem Risiko er spreche. Du wirst es erkennen, sagt er verschmitzt. In diesem Moment, die Sonne war im Begriff aufzugehen, fasse ich den Entschluss, ihn nach dem zehnten seiner nächsten Bilder umzubringen und es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen. Das letzte Bild, auf das alles ankam. Mir ist es gleich, auf mein letztes Bild kommt alles an, sagt er, und nimmt einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. Du musst damit leben, wenn meine Reise endet. 

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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8 Comments

  1. Edward Hopper ist einer meiner absoluten Favoriten.
    Seine Bilder berühren mich immens.
    Ich finde sie unfassbar schön – die Isolation, das Menschenleere, die Sehnsucht und die Spannung..
    Ich habe schon drei Ausstellungen von ihm besucht, kann aber nicht genug davon bekommen.

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