Message from the quarantine 21

Die postdigitale Revolution wird nicht eintreten, wir lieben Sushi Bars. Wir lieben das Laufband und die unentwegt flanierenden Variationen des Immergleichen. Wir lieben das Gängelband, welches suggeriert, dass uns eine weitere Wahl immer noch offen bleibt.

Dabei ist es so, dass die geschmackliche Nuance Hochzeit hat und das Rad des kulinarischen Einerlei den Like-It-Button-Gaumen kitzelt. Wir dürfen uns bedienen, was als das Höchste gilt und uns den Aufenthalt am Fließband mangelnder Optionen versüßt. Und natürlich können wir essen, essen, bis der Magen gebricht. Abgerechnet und bezahlt wird anhand der sinnentleeren Teller.

Like Its sind diese leeren, abgeräumten Teller. Manchmal ruinieren sie den Magen, da so manches Mal die Sucht nach der Geschmacksnuance zum nächsten Teller greifen lässt, von dem wir uns die letztgültige Gaumensensation erhoffen, den endgültig aufklärerischen Text, die alles in den Schatten stellende sinnliche Knospe.

Die Losung des Tages müsste also lauten: Dreh den Sushi Spieß um. Einmal waren wir die großen Beweger des analogen Seins. Wir waren die aktenkundigen, zwielichtigen Verschwörer, als wir uns dem Koitus mit der virtuellen Zwangsjacke noch versagten. Wir waren die rasenden Schleuderer Pablo Nerudas. Wir haben subkutan und auf Häuten geliebt und genossen. Wir haben Saaten gespendet. Mit einem einzigen Federzug könnten wir den negativen Grenzwert des Nutzens unserer Social Media Welt gegen den Strich bürsten. Wir finden uns zu Familienaufstellungen ein und begehen die partnerschaftliche Tilgung digitaler Autobiografien mit initialem Ritusrausch.

Wir treten allesamt gelassen hinaus in die Anonymität eines analogen, privaten Eskapismus. Eine Anonymität, die ihren Namen zu Recht trägt, weil sie aus freien Stücken ihre Maske trägt. Verzichten wir auf den Besuch der Sushi Bar, denn wir haben die Macht, Relikte zu gebären, aus denen die Archäologie dystopische Höhlenmalereien mit Fließbandmotiven zu interpretieren glaubt.

Die postdigitale Revolution wird nicht eintreten, wir lieben Sushi Bars zu sehr. Wir lieben den Interventionismus der anonymen, dirigistischen Hand. Wir sind kulturhistorisch die finalen Marionetten, die sich selbst und ihresgleichen am Nasenring des Aufmerksamkeitwuchers durch die Manege der Eitelkeiten führen. Im Wettbewerb der digitalen Autobiografien schmilzt das Einzelschicksal weg wie Fett unter der Garhitze. Das hat den Vorteil, sich nicht mehr vergleichen zu müssen, weil alle gleich sind und das Like It Spiel insofern zum Nullsummenspiel verkommt.

Wo liegt also das Rettende auch? Ich träume einmal: In der Haptik von Küssen. In den leibhaftigen und herzrührenden Gesprächen zwischen Ich und Du oder Ich und Ich. In den Selbst- und Fremdbefleckungen, die sich aus Kopfdrehbüchern speisen, falls diese nicht bereits verkleistert sind durch die Abziehbilder pornoesker Abgründe und Aberwitzigkeiten. Durch die man schon vergossen hat, bevor man sich ergießt. Setzen wir der unbefleckten Empfängnis die Grenzen ihrer Fruchtbarkeit. Sprechen wir, wenn wir etwas zu sagen haben. Vielleicht finden wir den Weg zurück zu den Köstlichkeiten der Sushihäppchen des einen wichtigen Tages. “Denn die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir liebten.” Und die Tage auch.

(Dieser Text stammt von 2013 auf diesem Blog, leicht verändert)

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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2 Comments

  1. Lieber Achim,
    Ein Hohelied denen, die noch küssen können, ohne dabei an Rache zu denken. Ohne am besten überhaupt dabei zu denken und sich einfach Haptik und Glut überlassen. Der letzte Satz ist kein Essen, das ist Nahrung. Sushi ist ein analog gerolltes Kunsthäppchen. Der Kenner schmaust es erst mit den Augen, dann nimmt er es mit den Stäbchen und lobt blumig erlesene Koches Künste. Dieser hat das feine Stück in Ruhe vorher am Tisch kreiert. Mit nahezu schlafwandlerischer Präzision zerteilte er die Algenblätter, bestrich sie mit Reis. Vom Fisch hobelte er hauchdünne Späne und rollte Bambus darin ein. Dann wickelt er und wickelt. Das alles geht sekundenschnell und sieht piepeinfach aus. Doch der Anschein trügt: hier war ein wahrer Kochmeister am Werk. Er legt das Häppchen auf das Band und er kann hören wie der Kenner lobt. Da er Japaner ist, verzieht er keine Miene. Nur sein sachte bebender Nasenflügel verrät, dass er sich die Eitelkeit einer Genugtuung gestattet. Den Kenner und den Koch verbindet das Geheimnis um das Wissen des Könnens. Der Kenner tunkt das Häppchen in die dunkle Sojasauce und….
    Denk Dir das Gesicht dieses Kenners und dann den Ausdruck höchster Gaumenlust.
    So lesen sich in Blogs manche autobiographische Texte, manche Ichdudialoge oder auch Monologe und Betrachtungen, so betrachten sich manche Fotografien, so …klingt manche Musik.
    Mit Liebe gemacht.
    Wie richtig gutes Fliessbandsushi mit Koch.
    Danke für diesen Text und bleib gesund.
    Du wetterst zwar gegen digital und auch zu Recht…
    Aber schreib bitte bloß weiter…😉
    Liebe Grüße,
    Amélie

  2. Liebe Amelie,
    Ich bin kein Anhänger des Sushi. Noch nie eins der Teile gegessen, noch nie ein Sushi Etablissement besucht. Roher Fisch geht nicht an mich, kunstvolle Zubereitung hin oder her, oder welchen kulturellen Status sie haben mag 🙂Die Dialektik meiner Kritik am Internet fällt immer auf den zurück der sie äußerst. In einem speakers corner im Hyde Park zu stehen und eine Brandrede dagegen zu schwingen mag für das analoge Zeitalter noch einiges Gewicht gehabt haben. Also werde ich mit dem kritisierten Medium wohl oder übel über selbiges mich weiter hermachen.

    Liebe Grüße
    Bleib gesund

    Achim

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