Message from the quarantine 20

Der Blick auf die sozialen Medien wirft den Blick der Medien auf uns zurück. Diesem Blick scheinen wir nichts mehr entgegenzusetzen. Die Algorithmen sickern in den Blutkreislauf unserer Bedürfnisse und schaffen neue, nie wahrgenommene Bedürfniswelten.

Von unseren originären Bedürfnissen weiß die Maschine Internet eingangs nur das Wichtigste, nämlich vom Umstand, dass man auf diese immer wieder fremderzeugte Bedürfnisse draufsatteln kann. Natürlich muss die Maschine dies tun, da es für den kapitalistischen Warenfetischismus überlebensnotwendig ist. Zu diesen Waren gehören die für uns maßgeschneiderten Informationen genauso wie unser zwanghafter Reflex, sich zu diesen Informationen unablässig zu äußern.

Indem ich diese Sätze schreibe, tritt sofort das zu Tage, was Friedrich Kittler unsere Anpassung an die Maschinerie der technologischen Neuerungen genannt hat. Es sind nicht die Maschinen, die sich uns anpassen. In den Händen der Kapitalisten sind sie die perfekten Infrastrukturen, um uns mit Lichtgeschwindigkeit Produkte anzubieten, die unsere Wünsche und uns selbst sukzessive, aber dauerhaft verändern.

Die Entwicklung des Internets hat mehr damit zu tun, dass menschliche Wesen zu einem Abbild ihrer (verwendeten) Technologien werden. (Friedrich Kittler).

Sollte sich nicht jede*r einmal fragen, ob charakterliche Veränderungen eher Facebook, Amazon oder Twitter zuzuschreiben sind, oder allen diesen Medien und noch anderen mehr?

Die Hoffnung ist längst dahin, dass technologische Neuerungen als Prothesen, als Erweiterungen des menschlichen Geistes gelten könnten. Das Internet hat diese Utopie längst zu Grabe getragen.

Stay healthy.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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9 Comments

  1. Na ja, ganz so schwarz würde ich es nicht sehen, gleiches hat vielleicht ja auch mal für Bücher gegolten. Die Algorithmen mögen unser Tun bestimmen, müssen dies aber nicht immer und in jedem Fall.

    • Hm, Bücher, das müsste ich mal in Erfahrung bringen, aber vielleicht hast du Recht. Gegen Algorithmen sich zur Wehr zu setzen funktioniert entweder mit staatlicher Regulierung oder mit einem Aufstand der User-Massen. Das letztere grenzt fast an Utopie.

      • Ja, das denke ich auch. Die unmittelbaren Vorteile, die die Nutzer durch die Algorithmen haben, verhindern förmlich einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten. Nur wenige haben Interesse daran, dass sich das ändert, weil das ganze Industriezweige trägt. Ich habe auf meinem Mobiltelefon eine App installiert, die heißt Blokada und ist nicht über den Google Playstore zu bekommen. Diese App hat Listen mit bekannten Seiten, die tracken und Werbung einspielen und blockiert diese. Das ganze läuft lokal auf meinem Handy ab, also wohl recht sicher. An einem Tag werden da schon mal über 10000 Trackingversuche geblockt…

  2. Eine feine Quarantänenbotschaft, die gut zum morgendlichen EarlGrey passt.

    Wenn ich Friedrich Kittler noch weiter folge, als seinem, von Ihnen zitierten Satz, dann komme ich zu dem Schluss, dass der Mensch sich nicht nur der Maschine anpasst, sondern die Maschine den Menschen an sich anpasst. Wobei die Maschine den sie antreibenden Algorithmus meint.
    Besonders bedenklich scheint mir dabei, dass diese unbewusst hingenommene Anpassung nicht nur den Interessen einer kapitalistisch orientierten Wirtschaftsweise dient, sondern überdies den Interessen und angestrebten Zielen der weltweit vernetzten Eliten überhaupt.

    In diesem Zusammenhang erscheint mir Ihre Frage, “Sollte sich nicht jede*r einmal fragen”, ebenso hilfeich wie dringend angeraten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man als internetaffines Wesen, dass sich mehr oder weniger konsequent in den virtuellen Welten aufhält, überhaupt noch in der Lage ist, sich in eine kritische Distanz zum Medium zu begeben.
    Ich persönlich habe meine Aktivitäten in meinem Blog in den vergangenen drei Jahren schrittweise reduziert und dabei sukzessive wahrgenommen, wie Blogs das Leben der Menschen verändern können. Mein eigenes natürlich auch. Anfängliches Vermissen (mit den dazugehörigen Reaktionen) wich dabei einer zunehmenden Unabhängigkeit und Freiheit. Aufschlussreich waren besonders auch die Veränderungen von anderen Bloggerpersönlichkeiten, denen ich über längere Zeiträume folgte.

    Insofern treffen manche der düster erscheinenden Aussagen Friedrich Kittlers zu. Leider. Denn es wäre anders wünschenswert.

    Ihnen einen schönen Tag und eine gute Gesundheit,
    Herr Ärmel

  3. Lieber Herr Ärmel,
    Ich bin in jeder Ihrer Ausführungen ganz bei Ihnen. Anstatt deus ex machina, das Rettende aus den Elektronenströmen, sind wir so eingesogen in diese Maschine, dass sie unser privates Leben in ganz neuen Schuhen gehen lässt, mehr oder weniger am Gängelband und in der oktroyierten Taktung unserer Tage. Vielleicht hilft Detoxing in diesem Bereich. Andererseits fällt es mir schwer, weil ich wohl immer noch der Illusion anheimfalle, dass die Informationen, die ich suche, nicht bereits durch ein Sieb gefallen sind, welches durch meine Spuren und Aktivitäten in der Vergangenheit für mich maßgeschneidert wurde.

    Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und bleiben Sie mir gesund.

    Achim Spengler

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