Message from the quarantine 16

“Melancholy is the happiness of being sad.”
(Victor Hugo)

Einige verwechseln das Wort Abstand mit Absinth. Andere brettern in Kolonnen mit ihren Bikes den Berg hinab. Enger aneinander klebend als ein Swimsuit an der Haut.

An alle home-office-worker in diesen Tagen, bedenkt, die Brontë Sisters haben die meisten ihrer Werke at home geschrieben. Unter Konditionen, die nicht vergleichbar sind mit eurem Blick auf den dampfenden Kaffee, den blauen Himmel und auf die Frühlingsblumen auf der Fensterbank oder im Garten.

Warum sollte man soziale Revolution auf der Straße machen, wenn man sich um einen gekreuzigten Märtyrer scharen kann? Im Jenseits nach Erlösung zu trachten ist allemal angesagter als sich die Hände schmutzig zu machen mit der Überwindung des irdischen Hungers. Die Kirchen haben einfach den besseren Vintage Chic. Mir träumte von ersten Pfingstprozessionen gegen den sexuellen Missbrauch in den Kirchen.

Meine Melancholie hat sich aus dem Staub gemacht. Als überzeugter Materialist halte ich die Manifestationen meines Bewusstsein für schöne Illusion, als Theater, wo auf der Bühne meines Hirns die feuernden Synapsen die tollsten Kabinettstückchen aufführen. Die Melancholie steht ansonsten immer auf dem Aufführungsplan. Jetzt ist sie weg. Die nüchterne Betrachtung hat ihren Platz eingenommen. Filmküssen kann ich jetzt achselzuckend beiwohnen, wovor ich früher beschämt die Augen schloss.

Das Virus als elektronenmikroskopisches Stück Materie verursacht im Überbau unseres Bewusstseins gedankliche Kapriolen, die allesamt unabänderlichen Kategorien zugeordnet werden können. Angst, Verzweiflung, nüchterne Betrachtung, Verleugnung, Verdrängung, rückhaltlose Zustimmung, der Irrsinn der Verschwörungstheorien, religiöser und sonstiger Spiritualismus, Hass, Empathie. Liebe usf.

Jede*r schlägt sich ihr eigenes Theaterzelt auf, wie sie es schon immer tat, von gewissen Kategorien-Interferenzen abgesehen. Jeder lügt, wenn er einen radikalen Gesinnungswandel beim Ausleben der Kategorien proklamiert. Aus einem Anhänger von Verschwörungstheorien wird kein überzeugter Rationalist usw.

Niemand wird in seiner Lebenszeit erleben, dass es zu einem dramatischen Zuwachs anderer aufgeführter Stücke kommen wird, über diejenigen hinaus, die er schon immer goutierte.

Der bio-chemische Unterbau meiner Emotionen, mithin das Substrat auch meiner Melancholie, wurde nicht durch Drogen oder Medikamente verändert. Trotzdem ist sie gegangen. Aber halt, dort, im Nebeneingang zum Theater, da trinkt sie gerade einen Café to go. Welcome back, my dearest.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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2 Comments

  1. Es ist die Eigenart von Melancolia zu bestimmen, wann sie uns sachte nur an den Schulterblättern rührt und wann sie uns bebend umarmt, lieber Achim. Die meine ist eiine treue Begleiterin, ich sehe sie trauernd neben getöteten Kleinstlebewesen stehen oder ihr begleitendes Schweben beim Niedersinken der abgeblühten Tulpenpracht.

    Regenfrohe Grüße aus dem Zwostromland, die Ihre, augenflanierend zugetan.

  2. Liebste Werteste,

    Wie wohl und lieb der Melancholie zugesprochen. Obwohl ich sie selbst nicht mit der konkreten Trauer in Verbindung bringe, eher vielleicht noch mit einer richtungslosen Traurigkeit, aber abgemildert durch ihre Fähigkeit, mich unter ihren Fittichen zu Kreativität zu verführen.

    Herzlichst der Ihre
    und Sie und Ihre Lieben wollen mir gesund und munter bleiben.

    A.

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