Philip Roth – Zum Gedenken

Der amerikanische Schriftsteller Philip Roth ist tot – der Morgen kompakt

Mit dieser Schlagzeile machte heute Morgen die NZZ in meinem Newsreader auf. Ich unterstelle einfach mal eine gewisse Gedankenlosigkeit des diensthabenden Redakteurs.

Es ist sehr einfach. Über Geschmacksurteile lässt sich streiten. Wenn es jedoch um legitimierende Qualitätsurteile geht, muss sichergestellt sein, dass sich solches Urteil  durch  Würdigung einer Vielzahl von belastbaren  Daten unterschiedlichster Provenienz bilden kann. Da sind Anleihen zu nehmen an die Literaturkritik. Die Literaturwissenschaft und die Literaturgeschichte sind zu befragen. Der Leserresonanz ist nachzuspüren, die Geschichte der Werkrezeption ist zu berücksichtigen. Außerdem sind  die Auszeichnungen und Preise in Rechnung zu stellen, die einem Autor bislang verliehen wurden. Und klar, diese Auszeichnungen begründen eine Tendenz, an der sich Kritik nicht ohne weiteres vorbeischleichen kann. Immerhin wurde das gesamte Werk von Philip Roth  noch zu seinen Lebzeiten in die Library of America aufgenommen.  Eine Ehre, die keinem lebenden Autor je zuvor zuteil wurde.

An diesen Quellen und Kriterien stur vorbeizurichten ist Borniertheit in ihrer schönsten Blüte. Eine nicht wiedergutzumachende Ignoranz, die  auf die Richtenden des Nobelpreiskomitees zurückfallen möge, sollten sie es denn schaffen, sich im nächsten Jahr in neuer harmonisierender Besetzung wiederzufinden,   moralisch geläutert gewissermaßen, um das Richten fortzusetzen oder den Richtblock wieder aufzubauen, auf dem die Preis-Verwehrung-Strategien der Vergangenheit exekutiert wurden.

Einem der größten seines Faches haben sie kleingeistig und miefig die allemal verdiente Würdigung verweigert. Und dies, wie sich heute herausstellte,  auf Ewigkeit. Ihn hat das wohl  nicht gestört und falls doch, so ging er mit schalkhafter Ironie darüber hinweg.  Er war sich selbst der größte Kritiker  und die Qualität seiner Werke maß er an den Werken von Hemingway, Turgenew, Conrad und Dostojewski und nicht an der Verleihung eines Nobelpreises für Literatur. Ob diese Vergleiche aus seiner Perspektive hinkten, darüber legte er der Mantel des Schweigens.

Mein Bedauern über den Tod von Philip Roth kann größer nicht sein. Ich habe zu überdenken, was ich eigentlich meine, wenn ich vom Vermissen rede. Ich habe seine Stimme vermisst, seine Physiognomie und  seinen Witz, seinen Charme und seine Streitlust, seine Ironie. Aber vor allem die Bücher, die er nicht mehr schreiben wollte oder konnte, nachdem er sich 2012 aus dem Literaturbetrieb und aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Ich kenne keinen Schriftsteller, keine Schriftstellerin,  die sich selbst in die Rente entließen. Oder die so freimütig von  nachlassenden mentalen und physischen Kräften redeten. Das Altern begriff er als Massaker. Der Kampf um das Schreiben ist vorbei. Diesen Satz hatte er sich auf den Computer geheftet. Er hat sich daran gehalten. Geschrieben hat er nichts mehr.  Nur gelesen hat er sie alle wieder, diejenigen, die er verehrte. Auch die eigenen Bücher las er wieder und meinte zu ihnen, lakonisch: Ich habe mein Bestes gegeben.

Die sexuellen Obsessionen junger und alter weißer Männer,  die er in seinen Büchern gleich obsessiv schilderte, sie gerieten vielen Kritikern zu einer repetitiven Misogynie,  zur Emblematik des männlichen Blicks auf das Weibliche, der über die sexuelle Begierde und ihre Konnotationen nicht hinausreiche. Diese Kritik übersieht geflissentlich die Ironisierung dieser Obsessionen. Sie übersieht auch die Ernsthaftigkeit, mit der uns der Autor die Lächerlichkeit von Handlungen und Reaktionen seiner  im großen Kontext der Liebesanstrengungen verhafteten Protagonisten vor Augen führt.  Die Mär vom geifernden alten weißen Literaturprofessor lässt sich nicht aus der Welt schaffen.  Natürlich nicht. Weil Roth ihn genau so schildert. Aber es gibt auch die anderen Blicke.  Gebrochene Blicke der Scham. Natürlich auch selbstsüchtige Blicke. Blicke, die von Empathie getragen sind. Blicke existentieller Angst. Blicke, die in den Grenzsituationen eines menschlichen Lebens etwas offenbaren, was wir alle kennen und was unabweislich zu uns gehört: Die Unmöglichkeit, diese Grenze zum Anderen jemals ganz überschreiten zu können. Egal, ob die  Andere eine Frau ist oder ein Mann.  Das ist das eigentliche Humanum. Der menschliche Makel. Wir sind allein.

Es war entsetzlich, sie ohne Hut zu sehen. Eine so junge, so schöne Frau mit diesem Haarflaum, mit diesen sehr kurzen, feinen, farblosen, unbedeutenden Härchen – man hätte sie lieber glatzköpfig gesehen, geschoren von einem Friseur, als mit diesem idiotischen Flaum auf dem Haar. Die Verwandlung der Gedanken, die man über einen bestimmten Menschen stets gedacht hat, nämlich daß er ebenso lebendig ist wie man selbst, in die durch irgend etwas –  in Consuelas Fall durch ihre flaumige Glatze – ausgelöste Erkenntnis, daß dieser Mensch dem Tode nahe ist, daß er im Sterben begriffen ist, empfand ich in diesem Augenblick nicht nur als Schock, sondern auch als Verrat. Einen Verrat an Consuela, weil ich den Schock so rasch überwand und zu diesem Schluß kam. Der traumatische Augenblick ist da, wenn diese Verwandlung des Bildes vom anderen eintritt, wenn man erkennt, daß die Perspektiven des anderen keinerlei Ähnlichkeit mehr mit den eigenen haben und er oder sie, ganz gleich, wie angemessen man reagiert und fortfährt zu reagieren, sterben wird, bevor man selbst sterben muss – wenn man Glück hat, lange bevor man selbst sterben muß.

(Aus Philip Roth – Das sterbende Tier;
Hanser Verlag;
Übersetzung durch
Dirk van Gunsteren)

Unsere Aufgabe ist es, seine Bücher zukünftigen Lesern anzuempfehlen. Heute gilt es, den Tod des größten zeitgenössischen Schriftstellers Amerikas zu betrauern.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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8 Comments

  1. Wie schön, Du hast eine meiner Lieblingsstelle aus dem ‚sterbenden Tier’ von Philip Roth erwischt. Vor der OP und der Chemotherapie bat Consuela ihn, sie zu fotografieren – mit seinen Augen. Sie sagte, niemals wieder habe ihren Körper jemand so angesehen wie sie selbst ihn fühlt und liebt. Der Pulitzerpreisträger Philip Roth war nie auf einen Nobelpreis angewiesen. Zu Lebzeiten im Literaturolymp. Die fehlende Auszeichnung wäre gegen alle seine Würdigungen nur noch eine weitere.
    Manche haben für Feinheit oder Taktgefühl keinen Sinn. Sie dürften gar keine Schlagzeilen machen. Weil sie das Wort zu wörtlich nehmen.
    85 – ist das alt?
    Er starb, umgeben von seinen Leuten.
    Ich frag mich grad ob Sterben noch besser gehen kann…
    Also Rest in Peace, Mr. Roth
    Mein Vermissen ist ganz schön groß und ich stehe dazu.
    Liebe Grüße von der Fee ✨🌀

    • Die zweite Jahreshälfte wird ein Philip Roth Lese-Halbjahr werden. Da gibt es noch einiges, was ich nicht gelesen habe. Die Frage nach dem besseren Sterben werden wir nie beantworten können. Es sei denn in unserem eigenen.

      Grüße aus der Hitzezone

      Achim

  2. Habe viele Bücher von ihm gelesen ein begnadeter Schriftsteller
    bei jedem Buch angefangen und versunken..
    schade,dass er nicht mehr auf dieser Welt ist .
    Sarah .

    • Ja, sehr schade und eine Wunde, die in den Literaturbetrieb geschlagen wurde. Wie ich weiter oben schrieb: Es warten glücklicherweise noch viele seiner Bücher auf mich.

      Gruß aus Freiburg

      Achim

    • Sehr männlich, aber ironisch gebrochen. Schilderungen sexueller Eskapaden, die oft genug überzeichnet sind, so dass man dahinter auch eine Preisgabe männlicher Würde entdecken kann.

      Liebe Grüße

      Achim

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