Loving benches – Warum ich Bänke liebe

“Life stand still here”; Mrs. Ramsay making of the moment something permanent (as in another sphere Lily herself tried to make of the moment something permanent)— this was of the nature of a revelation. In the midst of chaos there was shape; this eternal passing and flowing (she looked at the clouds going and the leaves shaking) was struck into stability. Life stand still here, Mrs. Ramsay said. “Mrs. Ramsay! Mrs. Ramsay!” she repeated. She owed it all to her.
(from: To the Lighthouse by Virgina Woolf)

CambridgeKings College Chapel innen_19

Warum ich Bänke liebe? Weil ich Bewegung liebe und Bewegung Leben heißt. Zur Bewegung gehört die Ruhe. Die Ruhe ist die Synkope innerhalb der Bewegung und ihr rastender Kontrapunkt. Sie ist der Ort, an dem das Selbst Andacht hält, und das gewissermaßen auf den harten Kirchenbänken der Kindheit. Auf diesen Bänken aß ich  das karge Brot einer trostlosen und gelangweilten Innenschau, das sich zu einem Festschmaus mauserte immer dann, wenn ich in der Lage war, einen eigenen, ernsten Gedanken zu fassen und den Funken einer charakterlichen Wahrheit. Ich die Schwere meiner kleinen Existenz spüren konnte, solcherart, dass mein Rücken sich in die harten Planken der Bänke drückte, eine Festigkeit bezeugend, die dem Bombast der Kanzel-Rhetorik entgegenwirkte. In dem Gewitter der enervierenden Versuche, Zeugenschaft abzulegen von Gott,  gab es plötzlich Halt und Struktur auf andere, eigene Art. In the midst of chaos there was shape; this eternal passing and flowing (she looked at the clouds going and the leaves shaking) was struck into stability. Life stand still here. Es gab die Selbstgewissheit, die auf harten Bänken saß, die sich allmählich aus der manipulierten Selbstvergessenheit herausarbeitete. Aus der festen Burg, die unser Gott ist, wurde eine Bank. Es zählen die kleinen Wunder.

Bank_powerscourt-estate-and-gardens-ireland-073

Nicht von der Hand zu weisen scheint die Tatsache, dass Bänke uns schon ins Auge fassen, bevor wir auf sie zusteuern. Sie werfen ihr Netz nach uns aus, worin sie alles hineinpacken, was in uns Entsprechung findet: Die Lust zur Ruhe, eine Tür zur inneren Einkehr, uns ausstattend mit der Wegzehrung des Traums und der empfangenden Arme der Melancholie. Die Augen sind hart auf den Horizont geheftet. Die Ferne ist ein in Briefform verfasstes Versprechen auf Unzeitgemäßes, welches  mich lachen macht und sehnsüchtig. Bänke sind Geschenke einer eingedickten, bewegungslosen Gegenwart, sie erzeugen den gefährlichen Kitzel des Sichtreibenlassens, sie induzieren womöglich einen Schlaf, in dem ich wiederum gegen die harten Lehnen gepresst werde wie gegen ein weiches Linnen.  Ich darf mich dem Rausch  ( der ja die Eintrittsmöglichkeit in die Endlichkeit markiert) und der Erwartung hingeben, dass die Welt mich aus meiner Verantwortung ihr gegenüber entlässt, dass zugleich die pflichtenfreie Reise beginnen darf, die ja nichts weniger ist als der Wunsch nach dem Sich_Selbst_Enthoben_Sein, ähnlich der Reise eines langen Tages in einen noch größeren Schlaf,  in eine Nacht, in der die selbstsüchtigen Avancen an das Leben aufgehoben sind.

Bank_yorkshire-robin-hoods-bay-0009

Bänke stehen immer dort, wohin die Erschöpfung uns lenkt. Sie erkennen und wertschätzen die Landschaft, die ich schätze und liebe. Sie zeigen mir, woran meine Empfindungskraft sich berauschen will. So zum Beispiel an dem Sirenenruf der schmerzenden Schönheit der Natur und ihrer wirkmächtigen Verführungskräfte, die alles individuelle Empfinden übersteigen. Vielleicht fühlen wir auf Bänken aber auch unsere trockenen Knochen der Vergangenheit, wie Ralph Waldo Emerson meinte. Das Kräftesammeln und das Gespür für das Nachlassen der körperlichen Kräfte sind auf den Bänken in eins gesetzt. Die Hände eines Pianisten, wann hören sie auf, den Anschlägen zu gehorchen, für die sie auserkoren wurden? Wann hören unsere Augen-Blicke auf, den Horizont zu bereisen, für den sie geschaffen wurden? Und zuletzt, wann hören Herz und Verstand auf, das Wissen erlangen zu wollen, für das sie geschaffen wurden?

CambridgeSt.Giles Cemetery_9

Die Bänke sind die Tempel der Meditation. Stille halten, auf das Herz hören und mitschreiben. Der Schreibstift gehört zum Rasten unweigerlich dazu. Er besorgt die Gewissheit des Erlebten und ist das unverbrüchliche Siegel, das die Erinnerung aufbewahrt. Eine Bank zu besetzen, ohne Stift und Notizpapier oder visueller Aufnahmegeräte, ist ein belangloses Unterfangen und gewiss eine Leerstelle innerhalb der Existenz, eine Vergeudung kostbarer Erlebenszeit. Es wäre dies ein, wenn auch nur  sekundenlastiger, Gedächtnisverlust, wo es doch der Anspannungen von Körper und Geist notwendigerweise bedarf,  um zum Sprung anzusetzen, der in der Rast als Potential enthalten ist. Die Rast auf Bänken  ist die Vorhut  von weiteren   Erfahrungen der Welt.

green-park-dublin

Ohne den Besetzer sind Bänke bloße Epiphänomene des  Überflusses. Ohne die sitzende Meditation sind sie Epitaphe und andere Formen der Erinnerung an lokale Prominente oder spendable Mäzene. Ein kurzer Hinweis auf ein honoriges Schicksal.  Von hier an stehen die Bänke in einem Ausstellungsraum, der schnell abgeschritten ist. Im ewigen Kreislauf der Ignoranz kommt man zu ihnen, sitzt, bewegt sich von ihnen fort. Dann sind sie nur noch weitere Glieder in der Kette einer dem  Tourismus unterworfenen  Umweltverschandelung. Im besten Falle stehen sie für den schlechtesten Fall: Dem Verschwinden aus jeder Erinnerung. Verweile doch, du warst so schön.

 

 

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

Articles: 604

10 Comments

  1. Danke für diese gelungenen Bank-Blicke 🙂
    Bei Bänken denke ich an das Verweilen, Ausruhen, Schauen und Zeichnen.
    Viele Grüße aus Berlin von Susanne

    • Ich hatte einige Arbeit damit zu verbingen, aus meinem Photofundus Bilder mit Bänken zusammenzutragen. Ich werde Bänke auf meinen Reisen noch stärker in den Fokus nehmen müssen 🙂 Schreiben/Zeichnen/Photographieren/gedankliches Schweifen, ohne das alles macht Bänkedrücken weniger Spaß.

      Viele Grüße Aus Freiburg

      Achim

  2. Also Dein Beitrag ist nicht epiphänomenal wie der Rauch einer Dampflok, sondern übt im Gegenteil eine ausgesprochen kausale Wirkung auf lesende Subjekte wie mich aus. ☺️. Wenn Bänke berichten könnten…erzählen, was sich auf ihnen abspielte…sie sind Zeitreisende, überdauern manchmal sogar mehr als hundert Jahre an ein und demselben Ort. Die Bank, auf der ich es als Kind liebte, im blühenden Freien beim Bullerbach meine Hausaufgaben zu machen, dies als Luxus zu empfinden, schon als Kind…während ich mir nämlich inmitten Vogelgezwitscher und Grün vorstellte wie meine Mitschüler am dumpf stubenhockenden Schreibtisch büffelten…oder als ich irgendwann am Meer auf einer Deichbank mich fragte, wer dort vor mir wohl Ruhe suchte? Die letzte Bank besuchte ich am vergangenen Sonntag im Wald, mit Fahrrad und Flugplatzfernblick. Bevor ich den Ruheort verließ, drehte ich mich noch einmal um und sagte: Tschüss, Bank. Ein alter Trick, damit ich nichts vergesse oder liegen lasse. Kennst Du ihn…?

    • Ja, wenn Bänke nur berichten könnten. Ein riesiges Archiv würde sich auftun. Ich nehme an, dass man durchaus Romanstoffe aus ihren Erzählungen würde exzerpieren können. Ob sie auch bestechlich wären? Könnte man ihnen sozusagen durch einen auffrischenden Anstrich oder durch Versetzung hin zu einer besseren Aussicht Geheimnisse entlocken, die zu einem Bestseller gereichen oder zu einem epochemachenden Werk reinster Poesie?

      Einen wunderbaren Luxus hattest du. Auf der Veranda meines Elternhauses, die später zu einem Zimmer umgebaut wurde, stand einige Zeit in den frühen 1960er Jahren eine aussortierte Schulbank unserer Volkschule (so hießen die Erstklässlerschulen noch). Auf der habe ich ab und an meine Schulaufgaben gemacht. Sie hatte etwas, was ich damlas nicht bezeichnen konnte. Ein Stück eigene zurückgewonnene Unabhängigkeit. Obwohl ich ihrer dann bald überdrüssig wurde. Sie war eines Nachmittags verschwunden.

      Den Tschüss Trick kenne ich nicht 🙂 Ich versuche ihn zukünftig zu beherzigen 🙂

      Liebe Grüße , Achim

Hinterlasse mir gerne einen Kommentar

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Translate »

Discover more from A Readmill of my mind

Subscribe now to keep reading and get access to the full archive.

Continue reading