Notate 18 – Ostern- Nachklang

Joseph Mallord William Turner (1789-1862) - View in Devonshire
Joseph Mallord William Turner (1789-1862) – View in Devonshire

 

Die sakrale Chormusik frisst sich durch meine Gewissheiten. Als gäbe es etwas jenseits meiner eingeübten naturalistischen Haltung, nach der alles Natürliche und Geistige sich aus der Natur als ihrem einzigen Weltgrund erklären ließe. Man muss der Kirche lassen, was ihrer ist. Sie versteht es, Seelenqual und Trauer mit grandiosem musikalischen Ausdruck  gegen das erbärmliche Jammern zu setzen.

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Wer sich verschönern möchte, sollte die Schönheit der Gedanken nutzen. Als einen Spiegel, aus dem sie herausblickt.

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Immerhin war es eine Frau, En-hedu-anna, eine assyrische Hohepriesterin aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend, die womöglich als erste Person einen literarischen Text mit eigenem Namen signierte. Ich erwähne das, da ich einem System virtueller Waagschalen anhänge, ich mir wünsche, dass sich darin die Schale des Weiblichen immer weiter nach unten senken mag.  Schließlich musste sogar  Gott  am Ende seiner Schöpfungstage einsehen, dass es ohne die Frau auf Erden nicht geht. Würde ich zum Glauben zurückkehren, sollte die Kirche den Jüngerinnen Jesu andauernde liturgische Gerechtigkeit zukommen lassen?  Es war die Botin der Wiederauferstehung, die Apostolin der Apostel, die bis zum bittersten Ende der Passion ausharrte. Das Weite zu suchen scheint mir eine männliche Domäne, auch im Sakralen.

William Turner (1789-1862) - Dawn in the Valleys of Devon, 1832
Joseph Mallord William Turner (1789-1862) – Dawn in the Valleys of Devon, 1832

 

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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17 Comments

  1. Lieber Achim,
    Es gibt so Bilder, die sind wie ein begehbarer Schrank. Also ein Frauentraum. Du redest über Maria aus Magdala, richtig? Diese geheimnisumwitterte Jüngerin Jesu, die ‚Sünderin‘. Sieben Dämonen musste er ihr erst einmal austreiben, bevor sie brauchbar war. Dummerweise weiß man immer noch nicht, was für welche. Darüber haben die Evangelisten geschwiegen. Die assyrische Geschichte kannte ich noch nicht und dass die erste Literatin eine Frau gewesen sein soll, gefällt meinem koketten Ego dass sich der arme Herr Schopenhauer über so viel offen zur Ansicht ausgepolsterte Weiblichkeit höchlichst empört wäre und mich aber zacki an den Herd zu Keks, Kinder und Küche komplimentieren würde. Das alles liest sich wie ein Wunsch, vor allem am Ende, ein schöner. Den Teile ich mit Dir. Ich lese gerade fantastische Frauen, Lucia Berlin, Elfriede Jelinek und so…
    Und…fantastische Männer natürlich auch…denn ich bin heil- und rettungslos dem Charme des César Aira erlegen…und Paul Watzlawick. Ah- ein gutes Gleichgewicht schwebt nun und hält sich in der Waage. So mag ich das am liebsten. Fein, dass ich mal wieder etwas von Dir lese. Schöne Grüße von der Fee

    • Liebe Fee,

      begehbare Schränke, das ist eine Analogie, die ich gerne auf mir sitzen lasse 🙂 Ostern genutzt, um meine permanente Beschäftigung mit Glaubensfragen als Atheist in eine Richtung zu lenken, um mehr Licht auf die Jüngerinnen Jesu` zu werfen. Gelungen ist es mir nicht recht, ich muß tiefer graben. Ich weiß nicht, ob En-hedu-anna die erste Literatin war, aber die erste uns bekannte, die ihre Schrift mit eigenem Namen signierte. Du hast natürlich Recht: Schopenhauers Misogynie hätte gewünscht, dass du deine soziale und familiäre Rolle am Herd treulich und brav ausübst. Ganz sicher nicht tröstlich zu wissen, dass er als Misantroph, wovon die Misogynie eine Unterart darstellen soll, berüchtigt war.

      Gleichwohl, liebe Grüße aus dem zu warmen Freiburg

      Achim

      • …ist es bei Euch in Freiburg auch plötzlich und auf einmal so warm wie sonst im Sommer? Ich bin übrigens auf ähnlichen Wegen unterwegs und suche in der Historie nach starken Frauen, die die Rollenverhältnisse ihrer Zeit zu überwinden schafften und sich Bildung erwarben. Ich will wissen wie dieser alte Geschlechterkrieg, der schon so lange währt, zustande kommen konnte. Um dem entgegen schreiben zu können, muss ich in der Theologie, der Historie, eigentlich auf allen Ebenen nachforschen. Darum Danke für Dein Wissen! Ich fand das was Du schriebst, sehr spannend. Leider fehlen mir dann manchmal die richtigen Worte und mir treiben seltsame Assoziationen in den Kopf wie dieses Bild vom begehbaren Schrank mit Beleuchtung. Ein ordentlicher Traumort, der mich immer noch genauso fasziniert wie so ein Kleinstauraumwunder
        Stephen Hawking war auch Atheist und ich bin eine Fee und muss deshalb davon überzeugt sein, dass es Magie gibt. Allerdings gehe ich natürlich, spielerisch und locker damit um. Wie eine Fee eben, eine lernfreudige, die gut versteht, warum manche Menschen Atheisten sind.
        Ich wünsche Dir eine pudelvergnügte Woche (nicht zu warm)🔆:o)

        • Temperaturen, wie sie bei einem gemäßigten Sommer in Südbaden und Oberrhein herrschen. Ich sage “gemäßigt”, weil unsere Sommer in Temperaturdingen inzwischen über die Stränge schlagen, und ich mein Augenmerk sehnsüchtig auf den Norden richte. In England oder Irland wäre ich dann gerne länger unterwegs, als es die Urlaubszeiten hergeben.
          Meine bescheidenen Gedanken zum Geschlechterkrieg. Ich glaube, dass es ihn nicht gibt. Wenn ich ihn abrüste zum Geschlechterkampf, bin ich wohl näher an der Realität. Ein Kampf, immer noch mit ungleichen Waffen geführt, weil das Spinnennetz des Patriarchats sich immer noch klebrig erstreckt über alle Anstrengungen der Frauen nach umfassender Gleichheit und gleichzeitiger Differenz zum anderen Geschlecht. Wenn es Krieg gäbe, lägen Frauen und Männer in ihren Schützengräben.
          Weiters glaube ich an deine Wortfindungspotentiale. Ich glaube nicht, dass dir die Worte einmal fehlen sollten, egal bei welchem Anlass. Das ist zumindest mein Eindruck aus all dem, was ich bislang von dir lesen durfte. Das Kleinstauraumwunder assoziiere ich einmal mit den sogenannten “tiny houses”, in die ich mich verliebt habe und gerne in einem solchen leben würde.
          Hier ende ich auch, weil ich denke, dass auch Feen eine Grenze haben was ihre Aufnahmefähigkeit angeht.
          Auch dir eine weitere schöne Woche.

          Einen lieben Gruß in den Norden

          Achim

          • Stell Dir mal meinen Kopf vor, fünfzehn Quadratmeter groß und auf Rollen oder Rädern also auf jeden Fall mobil. Und da drin lebt und singt die Kelly Family mit all ihren Instrumenten. Unbeschreiblich…

            Darum freut mich so was Du so glaubst von meinem Einfallsreichtum an Worten. Es sind meistens viel zu viele und außerdem quaddeln in der Wortsuppe dann auch noch Millionen Fragen herum – wie soll ich das kurzknackig zusammenfassen? Ein ungemäßigter Sommer ist ein Kopf voller Worte, ungefähr so wie dieser ausgeflippte April gerade hier bei uns, im Kleinstauraumformat in eine ganze Woche dermaßene Sommerflirrhitze gepresst, dass hierzuwalde der Bärlauch wackelt. Es steckt in Deinen sorgfältigen Beiträgen viel Wissen.

            Ja…Geschlechterkrieg ist ein schlimmes Wort. Eines, das mich höchstens traurig oder wütend macht, weil er mir so oft in Vorurteilen und Annahmen begegnet. Das geht schon über einen Kampf hinaus, weil einige dieser Vorurteile und Annahmen übereinander so alt sind wie diese erste assyrische Literatin, Tausende von Jahren Konditionierung haben das geschaffen, was Du “klebrige Spinnenhände des Patriarchats” nennst und es gab ganz früher Kulte, in denen Frauen ihr Duweißtschonwas so stolz zur Schau trugen wie ein Mann sein Duweißtschonwas. Wenn ich sehe, wie sehr aufeinander gefeuert wird mit gewaltigen Worten oder spottenden Taten, tief unter alle Gürtellinien oder mit Verschleierungen von Duldungsdelikten, sehe und erkenne ich Schützengräben, die so grottengrabentief sind, dass es immer schwieriger wird, diesen hausgemachten Abgrund noch zu überbrücken. Das geht ja nur über Augenhöhe und differenziertes Denken. Ich stelle mich tausendmal am Tag infrage, inwieweit ich einem Mann gerade mal wieder Unrecht antue, weil ich eine Handlung, ein Wort, ein Sonstwiewas an seiner Männlichkeit festtackere wie sein Auto, sein Männerspielzeug und blöde Klischees. Freue mich, wenn ich mich ertappe und korrigieren kann. In diesem Dschungel aus kämpfenden Zuweisungen, aus Drohungen und Wortgewalt, so schlimm wie ein sexueller Übergriff am Körper, finde ich mich sehr oft nicht mehr gut zurecht und muss hinterfragen, recherchieren, suchen und versuchen – mich über diesen Vorurteilsquatsch hinwegzusetzen. Verantwortliche für das was ist, gibt es auf beiden Seiten zu finden: die, die machen, die, die zulassen. Hilfe suche ich bei klugen und rebellischen Frauen, die stark genug waren, sich zu wehren und zu behaupten, sich Bildung und Respekt zu verschaffen und vor allem – ihre erzieherische Prägung und das Vorleben der eigenen Familie so ausreichend zu hinterfragen, dass sie selbstbestimmt entschieden ändern wollten und damit wiederum einen kleinen Teufelskreis unterbrachen. Eine Änderung beginnt immer in der innersten und kleinsten Struktur, der Familie, zuerst zu wirken.

            Ja, Feen sind natürlich wie alle Wesen begrenzt aufnahmefähig. Ich nehme mir auch Zeit für diese Kommentare, sogar wenn sie verrückt klingen oder mal verwirrt erscheinen, wenn ich herumhüpfe wie ein Pony auf der Wiese mit meinen Assoziationsketten. Bedenke: Die musizierende Kelly Familie auf fünfzehn Quadratmeter Tiny House müssen in meinem kleinen Feenkopf allesamt Platz finden. Und das sind alles äußerst lebenslustige Iren. Herrje, diese Phantasie macht mich manchmal echt fertig, glaub mir…

            Dir wünsche ich jedenfalls auch eine schöne Woche und sende einen lieben Gruß in den Süden,

            Stefanie oder Fee, however 🙂

            • Das Problem der Schöpfung ist ja nicht die erkenntniswillige Eva, die vom Baum der Erkenntnis nascht, von Luzifer verführt, sondern ihr rachsüchtiger, neidischer, erster Sohn Kain. Andererseits, die Frage stellt sich, warum Gott die Opfergaben Abels denn über die von Kain gestellt hat, woraus ja erst Kains Mißgunst entstand. Männer sind also das Problem der Schöpfung, wenn du so willst auch der Mann-Gott selbst ist das Problem. Das war so, das wird so sein, es sei denn, man(n) nimmt, mehr oder weniger lang, eine evolutionäre Auszeit, sagen wir, 1000 Jahre. Dann, sollte er sich gebessert haben, darf er sich wieder in den biologischen Kreislauf des Lebens einklinken. Bis dahin gilt die Parthenogenese 🙂 Wobei zu hoffen ist, dass den Frauen kein Testosteron-Substitut zur Verfügung steht, sonst beginnt das Karussell menschlicher Selbstzerstörung aufs Neue.
              Nicht deiner Meinung bin ich, die Verantwortlichkeit für das, was es an der Geschlechterfront gibt, Männlein und Weiblein zu gleichen Teilen zuzuweisen. Aber vielleicht hast du das garnicht so gemeint. Ich glaube, dass wir den Frauen ganz grundsätzlich nie einen Vorhalt machen dürfen, sie würden schlimme Dinge, die man an ihnen verbricht, “zulassen”. Dieser Begriff darf nicht verwendet werden, da er eine gewisse Komplizenschaft unterstellt mit dem Bösen, dem sie ausgesetzt sind. Diese Komplizenschaft gibt es grundsätzlich nicht, sie ist eine Kopfgeburt, männlich perspektiviert. Ich tue mich schon schwer damit, sie im Einzelfall auch nur zu vermuten.

              Die Kelly Familie auf fünfzehn Quadratmeter Tiny House. Hm. Obwohl sie Iren sind, haben sie doch eine ziemlich deutsche (wenn auch Hausboot-) Sozialisation hinter sich. Das hat dann nichts mehr mit Waschechtheit zu tun. Wie heißt noch der Kelly Brother, ah, Joey isses, der sich dem Extremsport an die Brust geworfen hat. Über ihn und Till Lindemann von Rammstein gibt es einen ein beeindruckenden Bildband über ihre gemeinsame Kanuexpedition im Yukon, Kanada.

              Nun, der Abend läutet ein, die Temperaturen sind wieder temperiert, das Wochenende beginnt und ich wünsche dir ein schönes ebensolches.

              Liebe Grüße

              Achim

              • Du fragst, warum Luzifer die Nase davon voll hatte, immerfort Lieblingsengel für Gottvater sein zu müssen und lieber seinen eigenen Gesangsverein gründete? Und warum Gott seinen Fehler wiederholte und Abel lieber hatte als Kain….Fragen darf man sich getrost auch, warum Gott seinen MenschenKindern keine Erkenntnis zutraute und ein hierarchisches Denken pflegte. Das kommt mir alles schwer menschlich und weniger göttlich (was auch immer göttlich sein mag) vor. Die Bibel ist perfekt auf den Mann als Herrscher zugeschustert. Die Rippe (Eva)darf sein kostbares Herz beschützen und sich mit dem Kinderkriegen ‚herumplagen‘, denn auch das wird in der Bibel als Folge der Sünde Evas beschrieben. Zur Strafe muss sie unter Schmerzen Kinder gebären und bekommt jeden Monat eine kostenlose lebensverlängernde Blutwäsche. Wo wir bei der Parthenogenese (garantiert fleckenfrei nachproduzierbar dank Spirito-Oxi-Action, hoch lebe die Keuschheit!) angelangen.
                Das Übel der Mysogynie steckt nicht nur in der Bibel, auch in anderen Religionsbüchern. Religionen dominieren immer noch die Welt, und produzieren Kriege, sie sind auch das mächtigste Machtinstrument der Welt und solange das so ist, kann sich auch nichts wirklich in kleineren Strukturen ändern. Und nein, man kann auf gar keinen Fall die Verantwortlichkeit Mann und Frau gleich zuweisen. Doch ich gebe zu bedenken, dass auch Frauen alte erzieherische Prägungen unbewusst an Söhne und Töchter weitergeben und untereinander ein vergleichendes Rivalisierungsverhalten zeigen. Die Kindprägung erfolgt bereits mit babyblauen Stramplern und rosarüschigen Tütüs und der Junge ist ‚Stammhalter’, auch so ein Unwort, genau so ein Unwort wie die Unwetter mit denen die Genitalien der Frau unzutreffend beschimpft werden. Junge-Auto, Mädchen Puppen. Es steckt tief drin, das alte Bild und in den Spielzeugabteilungen und bei Kinderkleidung wird es überdeutlich. Zum ‚Zulassen‘ – Ja, das ist auch unkonkret ausgedrückt: Die erzwungene Prostitution, die ein Mann von einer Frau durch Druck einfordert, setzt ein Abhängigkeitsverhältnis voraus. Verzweiflung und Angst machen willig, die familiäre Prägung erledigt den Rest. James Brown – It‘s a mans world ist in Zeiten, in denen Frauen angegriffen werden, (auch von anderen Frauen), weil sie sich wehren gegen eine über zweitausend Jahre alte Ungerechtigkeit, umso aktueller.
                Und nein, die Kelly-Family bedienten ein Irland-Klischee. Ich konnte sie als Kind nicht ausstehen und konnte es mir damals überhaupt nicht erklären, diese seltsame Antipathie und obgleich ich Irlandmusik immer schon sehr mag. Es erschien mir überschminkt, was sie darstellten, ich fand sie sogar unheimlich.
                Vor allem erinnere ich sie als viel, bunt und laut. Über die Mitglieder weiß ich allerdings nur sehr wenig.
                Schönes Wochenende, auch für Dich und liebe Grüße,
                Stefanie

                • Ich zögere, in den fast persönlichen Dialog einzugreifen. Aber da er öffentlich ist und es mich reizt, meine Meinung beizutragen, tue ich es einfach.
                  Die Bibel kann natürlich jeder und jede je nach Gusto auslegen. Und nicht nur das. Die Luther-Bibel hat nicht nur durch die Überschrift (“Der Sündenfall”) die eigene Theologie dem arglosen Bibelleser die Denkrichtung vorgegeben, sondern auch durch eine sehr tendenziöse Übersetzung. Insofern lohnt es in jedem Fall, an die Quellen zu gehen – abhängig davon, wie wichtig einem dieses Buch denn überhaupt ist.
                  Mir ist aufgefallen, dass Atheisten und Agnostiker häufig das Narrativ frommer Religiöser übernehmen, die Bibel sei aus dem Off gekommen, um Menschen wahlweise zu beherrschen, zu guten Menschen zu machen oder mit welcher Absicht auch immer. Und wenn es schon kein externer Gott war bzw. gewesen sein kann, weil es ihn ja nicht gibt, dann waren es eben Priester und Theologen, denen man i.d.R. selbstsüchtige Motive unterstellt. Plausibler scheint mir die These, die u.a. von van Schaik/Michel , Das Tagebuch der Menschheit, vertreten wird, dass die biblischen Texte mehr oder weniger brauchbare Antworten auf gesellschaftliche Fragen und Umwälzungen gewesen sind. Beide Autoren sind übrigens bekennende Agnostiker.
                  Auf welche Fragen könnten dann die ersten Geschichten der Bibel Antworten bieten? Vielleicht auf diese: Warum leben wir im Unfrieden miteinander und mit der Welt? Warum hat der Mann mehr Muskeln und die Frau kann Kinder gebären? Warum die Sehnsucht nach der heilen Welt?
                  Darauf antwortet der biblische Mythos: Einst war es so, dass der Mensch an sich (adam heißt auf deutsch Mensch) in Einheit mit sich und der Welt und mit Gott war, den ich versuchsweise auch Schicksal oder Weltprinzip nennen könnte. Aber er war einsam. Es fehlte etwas. Und so kam Hawwa, die Leben spendende hinzu. Dass sie aus der Rippe des Menschen gestaltet wurde, bedeutet für mich noch keine Hierarchie. Im Gegenteil: Der Mensch ist erst Mensch im Duo – Leben (der Wortstamm dam heißt Blut, adama ist der Erdboden) und Leben spendend.
                  Die erste “Tat” der Leben spendenden ist die Frage, die Neugier – notabene: im Original nicht als Sünde bezeichnet, eher als Ursache für das Folgende. Die Einheit mit der Welt, die gleichzeitig eine vollkommene Naivität voraussetzt, ist verloren. Der Mensch macht die Erfahrung von gut und böse, von Freude und Schmerz, von all den Dualitäten, die unsere Welt für uns bereit hält.
                  Man kann diese Geschichten auch auf die Entwicklung jedes einzelnen Wesens beziehen: Der Garten Eden ist die Zeit vor der Geburt. Die Menschwerdung geschieht in der Trennung von der Unmittelbarkeit.
                  Zu den Dualitäten gehört auch die Ungerechtigkeit. In der Geschichte von Kain und Abel ist sie die Ursache für den Brudermord. Der Gedanke liegt nicht fern, dass Gott als Ursprung von Allem auch der Ursprung der Ungerechtigkeit ist – zumindest wird deren Existenz vorausgesetzt und nicht als “Schuld” des Menschen bezeichnet. Die Legende von Lucifer entstand erst in nachbiblischen Zeiten, und die Schlange ist ein durchaus schillerndes Symbol, auch in der Bibel.
                  Keine Frage: Die Bibel ist nicht nur von patriarchalischen Strukturen durchzogen, sie hat sie auch – durch die Auslegung von Männern – befördert. Das ist besonders krass am Neuen Testament und seiner Auslegungsgeschichte nachzuvollziehen. Doch je tiefer man gräbt, desto menschenfreundlicher wird sie.
                  Oder ist es nur meine christliche Brille? Gut möglich. Aber sie hat genau die gleiche Berechtigung wie jede andere Brille auch.

                  • …pardon, denn mich verunsichert jetzt gerade meinerseits, dass ich irgendwo zu persönlich wurde…? . Meine Kommentare geraten mir bloß noch zu lang…(ich arbeite daran…)
                    Wenn ich etwas wissen will frage ich nach oder bringe mich ein und an öffentlicher Stelle wie in einem Blog zu einem Thema sind es besonders unterschiedliche Blickwinkel, die mir überhaupt erst ein differenzierteres oder komplexeres Gesamtbild ermöglichen oder mir Hilfe bieten an welchen Stellen ich weiterforschen will. Als ein gern hier lesender bloggast möchte ich mich daher ausdrücklich für diesen für mich auf meiner speziellen Suche sehr wertvollen Austausch und auch die Erklärungen bedanken und mich entschuldigen, falls ich irgendwo (unbeabsichtigt) zu persönlich wurde- was mir allerdings nicht auffiel. Dank auch zum bloghausherrn, dass er an dieser Stelle die Möglichkeit zu einem Kommentar-Austausch bietet. Liebe Grüße von der Fee🧚‍♀️

                    • Oh nein, überhaupt nicht zu persönlich. Die Kommentare hatten für mein Gefühl nur etwas von einem Zwiegespräch – so wie wenn zwei Menschen zusammen stehen. Da geht man ja auch nicht so ohne weiteres rein.
                      Die Gedanken fand ich sehr anregend. Vielen Dank dafür und herzliche Grüße von Pastor 😊

                  • Liebe Stefanie,

                    überhaupt nicht zu persönlich, alles gut. Ein Kommentar kann nicht lang genug, wenn es darum geht, seine Ansichten möglichst vollständig rüberzubringen. Man darf sich hier also richtig austoben 🙂 Gedankenaustausch wird in vielleicht nächster Zukunft ein Fremdwort sein, wenn man die Tendenz zum Meinungsautismus in der weiten Welt des Internets verfolgt. Nutzen wir insofern noch die uns zur Verfügung stehenden Zeit.

                    Liebe Grüße

                    Achim

                  • Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, dieser Ihr zweiter ihr Kommentar blieb im Spamordner hängen. Die Wege von WordPress sind manchmal nicht nachvollziehbar. Ich habe ihn hoffentlich rechtzeitig für Sie freigeben können.

                    Gut erzählende Literatur hat, neben ihren beindruckenden Inhalten, ihrer Form , sich auch der Frage nach ihrer Funktionalität zu stellen. Darüber ließe sich bis Ultimo trefflich spekulieren und austauschen. Meine Interessen an der Bibel, den Apokryphen oder anderer Glaubensbücher sind ausschließlich literaturwissenschaftlicher und historischer Natur. Es geht mir um Erzählformen, um Bilder, Metaphern, Metonymien etc. Form follows function, in der Art. Um Ideologiebildung geht es auch. Die einverleibte Bibel, die als DNS dient der machtpolitisch orientierten kirchlichen Institutionen. Derjenige, der den Mythos als erstes im Mund führte, ihn zu einem ernstgemeinten Narrativ formte, der war vermutlich auch derjenige, der eine Art nahöstliche Druidenrolle auslebte, oder aber bereits aus dem Führungspersonal der Stämme stammte und weltliche und mythenerzeugende Funktionen auf sich vereinte.
                    Die Sehnsucht nach bevormundendem Geleit durch die Fährnisse des Lebens, das Besprechen der Angst, die Moderation des Todes. Vielleicht sind das die essentiellen DInge, die an Religionen haften. Um Botschaften über diese Dinge zu verbreiten, ihnen eine Legitimität zu verleihen, dazu benötigen sie Autoritäten. Zu diesen gehören der monotheistische Gott und seine Vorläufer.

                    Danke für Ihre Gedanken !

                    • Die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Bibel hat der Theologie enorme Fortschritte beschert – hier nennt man es die “historisch-kritische Methode”. Weit verbreitet ist auch unter den Theologen die Meinung, man müsse die Bibel nur auf diese oder andere Weise auslegen, um den Kern der (christlichen) Religion zu erfassen. Die Heiligsprechung von Büchern und Dogmen führt genau zu dem Phänomen, das Sie und viele andere Nichtreligiöse anprangern: Man muss diese Auffassung durchsetzen, oft gegen den Willen und gegen das Wohlbefinden der Menschen. Und das geht nur mit psychischer oder physischer Gewalt.
                      Eine solche Religion ist aber über kurz oder lang immer zum Sterben verurteilt. Sie kann nur leben, wenn sie – jenseits von Bevormundung, Beschwichtigung, Denkverboten und Denkvermeidung – zum Leben nützt. Dem galt schon immer mein Interesse. Jetzt aber umso mehr, wo ich mir der Begrenzung und Fragilität des Lebens unmittelbarer denn je bewusst bin.

  2. Und es war eine Frau, Eva, die – nach der Bibel – neugierig über sich selbst hinaus sehnte, eine theologische Diskussion mit der Schlange begann und so die Grenzen des Menschen erweiterte. Der Mann Adam, weit davon entfernt, der Hüter von Tradition, Recht und Moral zu sein, folgte seinen Instinkten und Trieben: der Frau zu folgen und die Frucht zu essen.
    Von Sünde ist in dieser Geschichte original nichts zu lesen. Dieses Wort kommt nur in der von Theologen erdachten Überschrift vor, ansonsten erst in der Geschichte vom Brudermord, Kain und Abel.

    • Ich danke dir für die erhellenden Anmerkungen. DIe Theologen waren schon immer begnadet in Marketing Dingen. Die Wendung “Sündenfall” ist in aller Munde, so wie, lass uns sagen, CocaCola.

  3. Ab jetzt sage ich nur noch ‚Cocacola‘ zur Sünde oder ihrem Fall. Das könnte ziemlich lustig werden. Adam, Eva und die Cocacola. Klingt cool…☺️

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