Notate 17 – Das Alte und der Andere

Die Klappe fällt. Das Alte ist entsorgt durch respektlosen Furor. Aber, und das ist erstaunlich, respektverweigert aus der Ecke der Gewöhnlichkeit, einer immerwährenden, besessenen Introspektion. Einer Haltung, die im eigenen Leid ein Expertentum ausweist, welches Rat und Vorschlag und von außen kommende Hilfe seinerseits als Ausdruck von Banalität erachtet.

Das Alte ist abgewählt und abgehängt. Ausrangiert, ein  verbrannter Topf, ein abgeschnittener Zopf. Seine Zeit ist abgelaufen, wenn es sie denn je gab, ist sie doch  immer die zu spät gekommene. Das Moderne ist das Schätzenswerte per se. Das Alte ist geisterhaftes Verblassen, der umgekehrte Entwicklungsprozess eines Bildes in der Dunkelkammer. Verblasst, hin zu einem ungemischten Weiß. Und es verschwindet auch unter den eigenen Augen.

Es geht zugrunde, ohne je wieder erzieherischer, begleitender, ratgebender Grund zu sein für das Neue oder Junge. Das Alte geht am Vorrücken des Alters, seinen obszön sich ins Augenfeld schiebenden Falten zugrunde. Es geht an den trüben Augen selbst zugrunde, deren verbleibende Aufgabe es ist, jede Melancholie, jede Wut, jede Ernsthaftigkeit unkenntlich zu machen und aus dem Gesicht zu schlagen. Der aufkommende Selbstekel, der sich in einem Wettbewerbslauf befindet mit der Geringschätzung durch den Anderen. Das ist das tödliche Wechselspiel, das Hamsterrad, die Unentrinnbarkeit aus dem doppelten Negativum seiner Existenz. Nicht für sich sein zu können in seiner Selbstselbstgleichheit und immer unterworfen dem Urteil des Anderen, ohne das sich das Subjekt selbst nie definieren, trösten, heilen oder vollständig machen kann. Die Freiheit der eigenen Willensakte gibt es nicht. Das Da im Heideggerschen Da-sein, meint Emmanuel Levinas, bedeutet lediglich, dass ich immer den Platz eines anderen einnehme, es ist nie der Platz, an dem ich allein autark existiere.

Es gibt eine Transit Zone des Alten, in der es in der Lage ist, Schichten der Psyche  an die Oberfläche zu bringen und zur Sprache,  vorausgesetzt, der Andere ist der Anhörung dazu und der Diskussion darüber willens. In dieser Zone könnte es noch einen Richtungswechsel im eigenen Denken, Sagen und Fühlen geben, bevor es zu Abstufungen zunehmenden Schweigens kommt. Das Schweigen vermag aber nie mehr zu sein als die Illusion, dass wir mit ihm zur Selbstselbstgleichheit der Identität (Jacques Derrida) zurückkehren könnten. Das Schweigen mag ein Ende sprachlicher Anstrengungen markieren, aber nie ein Ende ohne den fremden Kommentar und sei es nur der Kommentar, der in einem fremden Schweigen liegt.

 


Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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5 Comments

  1. “Es gibt eine Transitzone des Alten, in der es in der Lage ist, verbunden mit der Krankheit, die es schlägt, Tiefenschichten der Psyche an die Oberfläche und zur Sprache zu bringen, vorausgesetzt, der Andere ist der Anhörung dazu und der Diskussion darüber willens. In dieser Zone könnte es noch einen Richtungswechsel eigenen Denkens und Sagens und Fühlens geben, bevor es zu Abstufungen zunehmenden Schweigens kommt. ”

    Dieses hier sind für mich die wichtigsten Kernsätze, darum zitiere ich sie noch einmal. Sie zeigen eine Möglichkeit auf, einen Weg.
    Trotz der seelischen Assoziationen kamen mir auch immer wieder die Docklands in den Sinn, dort finde ich das schwindende Alte, dessen Architektur auf so starke Weise kontrastiert, dass es mir nicht möglich ist, eine Art “Übergang” festzustellen, von den traurigen Fensteraugen entkernter, verfallener Speicherhäuser mit überteuerten Appartements hin zu den kalten Glasfassaden, die die alten Gebäude haushundertmeterhoch überragen wie erstarrte Monsterwellen aus Glas und Beton.

    In der Form der Samuel-Beckett-Bridge fand ich irgendwie die Form einer irischen Lyra wieder, diese kleine fröhliche Harfe, die wie eine Transitzone des Alten wirkt, vor seinen Verfall gelegt, diese tiefste irische Schicht des Lebens einfacher Arbeiter und Fischer. Mir erscheint ebenfalls der Kontrast zu hart, von einem alten Irland in ein supermodernes, wie eine vom Alten komplett enteignete Welt. Könnte es noch einen Richtungswechsel geben, selbst wenn die Schienen vor der silbernen Stadionwelle zerbrochen sind? Bevor die Lok kommentarlos schweigt, weil sie sich off-topic und entkernt von irischer Geschichte fühlt?

    Ich rieche den Industrieschweiß in diesen Arbeitsbildern aus den Docklands, dieser zu großen und daher statischen Kontraste, wenn man das so sagen könnte….

    Tolle Sätze finde ich in Deinen Notaten, wobei ich dieses hier Deinen Docklands–Bildern als zusammen gehörig für mich assoziierte.

    Mal Danke.

  2. Den Übergang gibt es nicht. Es gibt und gab entweder den Abriss der Funktionsbauten der alten hafengewerblichen Zeiten, oder die Kontrastierung des Neuen mit dem fassadengleichen, aber entkernten inneren Alten. Das ist mit der Gebäudearchitektur so wie mit den Menschengenerationen auch. Mein Post behandelt aber einzig die Verwerfungen im Umgang von Generationen in der eigenen Familie. Die Transitzone, so wie ich sie beschreibe, ist die Phase eines letzten Aufbäumens der alten Generationen mit dem Ziel, sich noch einmal Gehör zu verschaffen. Aber es erstaunt mich positiv, wie du in deiner einzigartigen Sensibilität und Aufmerksamkeit den Post mit der Bilderreihe der Docklands zu verbinden weißt. Als wäre es tatsächlich die Illustration der seelischen Assoziationen und der Bitterkeit, die sie transportieren.

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