Notate 15 – Das Besteck des Schreibens

Heinrich Heine zur Zensur:
Die deutschen Zensoren  – – – – – – – – – – – – – – – –
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– – – – – – – – – – – –  Dummköpfe   – – – – – – – – –
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Schreibempfehlungen

Man sagt es gäbe ein dramaturgisches Gesetz, welches besagt: Deine Niederlagen sind interessant. Deine Triumphe wollen nur deine Eltern hören. Meine wiederkehrenden Träume: Von der Schmach intellektueller Subordination. Von der Durchsetzung eines Unrechten, gewaltsam, mit Zerstörungswut, bezogen auf Leib und Leben und Sachen. Das sind die Ingredenzien meiner Soziopathie.
Darüber sei zu schreiben, empfehle ich mir. Über Schmerz, Peinlichkeiten, Scheitern und Ängste. Über Blamagen und Begräbnisse, Abschiede, Verlassenheit. Über Unzulänglichkeiten, die ausgebliebene Grandiosität des Scheiterns, Blamagen also. Über Borderline und Bi-Polarität, Paranoia. Berichten von der Kleinherzigkeit der Liebe, dem Makel der Gesichtslosigkeit in der Menge. Über die Ungewissheit, die harten Urteilen, harten Forderungen zugrundeliegt. Über den Ironiegehalt, wenn ansatzlos der Unfug auf das Bekenntnis  folgt, Trash auf ernstgemeinte Beobachtung und Plastik auf Philosophie. Der Drive sei zentral beim Schreiben, dass man im Schwung Dinge schreibt, von denen man nicht einmal geahnt hätte, dass man sie denken würde. Skizzen, kurz, intensiv, ohne Kommentar oder Wertung (auf keinen Fall). Der Autor, der verschwindet, aus Gründen der exakten, treffenden  und den Leser aufmerksam machenden Benennung. Die Weise der indirekten Erzählung, oder Geschichten in Form von Drehbuchnotaten. Der Autor ist ein Anderer. Das Ich ist es sowieso.

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Fernando Pessoa in in Das Buch der Unruhe:
“Ein leidenschaftsloses Leben, kultiviertes Leben führen, in der Nachtfeuchtigkeit der Ideen, lesend, träumend und ans Schreiben denkend, ein hinlänglich langsames Leben, um sich stets am Rande des Überdrusses zu befinden, dabei aber hinlänglich überlegt, um sich niemals von ihm überwältigen zu lassen. Das Leben fern von Gefühlserregungen und Gedanken leben, nur in Gedanken an die Gefühlserregungen, und an die Gefühlserregungen der Gedanken. Golden in der Sonne lagern wie ein dunkler, von Blumen umstandener See.”

 

 

 

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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14 Comments

  1. Wo ist nur der dritte l gelblieben! Automatic control is no good, in whatever aspect. Sorry
    Stillleben, bitte.

  2. “Golden in der Sonne lagern wie ein dunkler, von Blumen umstandener See.“
    Worte einer Blumenseele aus einem Buch, das mir oft lieber Begleiter war. Ich wollte es verstehen von Anfang an und je weiter ich las, desto tiefer durchdrangen mich Sätze, Bilder und ich verstand, warum ich ruhig werden konnte in Pessoas philosophischen Armen ohne alles von seiner Weisheit jemals kapieren zu müssen. Er lehrte mich Atmen im luftleeren Raum, immer wenn ich ihn dachte berühren zu können, hing er einen Nebensatz an, der mein ganzes Verständnis kopfstellte. Ich fand ihn dann wieder im Goldauge des von Blumen umstandenen dunklen Sees. Überdrusses kann auch aus einer Mischung, die sein Gegenteil ist, entstehen: ein Entbehren oder ein Verzicht. So empfinde ich es manchmal, denn Überdruss ist ein Gefühl, das mir keineswegs fremd ist. Doch die Offenlegung seelischer damages ist zweischneidig, da verfemt. Es zählt nur, wer überwindet, es gilt nur, wer stark bleiben kann. Mich berühren Schicksale, die mutig genug sein können, andere zu suchen, an denen sie stärker wachsen, sich weiter entwickeln zu können. Das geht manchmal nur über das Bloßlegen. Dort will ich meine Salzhand nicht mit meinem Unwissenden in blutende Wunden legen. Was weiß ich wirklich?
    Dein Text explodiert in eine Text- und Bildlandschaft der Selbstdarstellung, die vielleicht oft vergisst, wie schutzlos sie sich hiermit auch macht. Es geht um Vertrauen in das Wohlwollen anderer. Ein Mutprojekt, Dein Text beflügelt mich letztlich wieder in Richtung Pessoa, ich finde diesen hier so wahnsinnig toll…:

    “Ich glaube eine Sache in Worte fassen, heisst ihr die Kraft bewahren und den Schrecken nehmen.”
    (Fernando Pessoa)

    Liebe Sonntagsgrüße von Stefanie

    • Ach weißt du, eins der Vorrechte des Älterwerdens liegt in der willkommenen Bereitschaft, sich mutiger und häufiger und radikaler zu persönlichen Dingen zu äußern. Ich bin nicht mehr so sehr auf das Wohlwollen anderer angewiesen. Vielleicht ist es sogar so, dass wir Älteren unkomplizierter “Mein Ding” machen können. Um einige direkt an mich gerichtete Fragen zu beantworten: Nein, ich bin nicht bi-polar (zumindest nicht qualifiziert diagnostiziert), oder Opfer eines Borderline-Syndroms. Ich möchte darüber schreiben, falls sich eine darauf bezogenen Thematik auftun sollte. Auch von Paranoia bin ich unbeleckt 🙂 Andererseits, die Grenzen zwischen sog. psychischer Gesundheit und dem, was du “damages” nennst, sind fließend.
      Danke für deine Ausführungen zu Pessoa. Für mich ein unübertroffenes Vorbild des gewissermaßen multiplen, biografischen Schreibens. Würde ein Psychologe sich seinen Werken näher widmen, käme er wohl auf die gleichsam absurde Idee von der multiplen oder sogar schizoiden Persönlichkeit.

      • Ist Radikalität denn ein „Vorrecht“…? Hm…
        …sie ist manchmal notwendig, ja. Wenn es darum geht, eine Frage aufzuwerfen, Meinungen zu trennen, auch sich selbst zu verdeutlichen wo man eigentlich steht, wenn die Grenzen so schwimmend sind wie im weiten Feld wissenschaftlicher Erkenntnisse, den Fachbegriffen zwischen Pathologie und Über-Pathologie, das Krankreden…. Hab ich Dich irgendwo gefragt, ob Du bi-polar bist? Das wäre eine so persönliche Frage, es würde mich sehr wundern…
        … Ich bin übrigens „bipolar“, habe ich freundlicherweise vom Großvater mütterlicherseits geerbt.
        Danke, dass Du mir so eine Frage noch nie gestellt hast.
        Meistens merken es die Leute von ganz allein, dass ich ein Dampfkessel bin. Früher nannte man das auch mal Temperament, doch das ist vielleicht noch zu wenig. Mir hingegen reicht es völlig aus, temperamentvoll sein zu dürfen/müssen/können (multiple choice voting).
        Alles andere klingt so geografisch kalt, so von einem Ohr bis zum anderen Ohr und dieses „bi“ vor dem „polar“ brächte unwissendem Zeitgenossen vielleicht noch überhaupt ganz andere Gedanken in den Kopf. Ja, will ich denn sowas …? (Nö!)

        Von Paranoia bist Du unbeleckt? Das ist aber fein, wer das von sich behaupten kann! Ich kann paranoid sein. Bis hin zum voll ausgelebten Fluchtimpuls nach vorn. Doch ich weiß das von mir und das ist mal gut! Denn dann kann ich mein Panikvögelchen schneller einfangen und in der warmen Hand beruhigen.

        „damages“…das ist auch so ein an sich unpassendes Not-Wort, das eine Krankheit in der Gehirnchemie grundsätzlich immer nur unzureichend beschreiben kann, denn Krankheiten haben unterschiedliche Auslöser und Impulse und nicht immer kommen sie von außen.…

        Wo beginnt überhaupt eine Krankheit, eine Krankheit zu sein, dass sie als solche bezeichnet werden kann? Ich würde sagen, wenn ein Mensch dauerhaft an sich selbst leidet und dies in seinem Verhalten schädliche Auswirkungen auf sich selbst und seine Umwelt hat….
        …doch ein Betroffener sieht das vielleicht selbst ganz anders findet sich gesund und mancher andere wünscht sich sein Leid vielleicht sogar unbewusst herbei, wenn er es immer wieder anderen explizit vor Augen führt…?

        Ja, Pessoa ist unübertroffen multipel..72 Heteronyme…und bestimmt haben sich schon Psychologen über sein Werk ausgelassen…doch solche psychologischen Pathologie-Erkenntnisse oder intime Veröffentlichungen über einen Künstler…mag ich gar nicht lesen, ich finde, das würde seiner Persönlichkeit postmortem noch Würde wegnehmen von seiner Privatsphäre, ich empfände es als Leichenfledderei…
        …doch würde gern noch mehr über sein Leben erfahren.
        Seinem Ruhm ist er weggestorben.
        Jetzt ist er Portugals Nationaldichter.
        Alberto Caeiro’s Hüter der Herden steht auf meiner Lesebuchwunschliste für den Herbst.
        Ausleihen werde ich mir das lieber nicht. Sonst bekommt die Bücherei das nicht wieder…denn..
        “die dunkle Seite ist stark in mir” (Anakin Skywalker, Star Wars)
        🙂

        Liebe Grüße,

        Stefanie

        • Nein, nein, die Fragen nach Borderline und Bi-Polarität kamen nicht von dir, sondern von anderer Seite, von nicht bloggenden Lesern meines Blogs. Ich glaube darüberhinaus schon, dass sich im Alter durchaus radikaler denken und formulieren lässt, aber immer nur bezogen auf den Vergleich mit dem eigenen jüngeren Selbst.Deine Definition von psychischer Krankheit klingt für mich plausibel. Sie kann stets fallweise über eine psychische Problematik urteilen, ohne sich eines diagnostischen Katalogs zu bedienen. Normalität ist ein relationaler Begriff, das sollten wir bei der Beurteilung unserer Mitmenschen immer berücksichtigen. 72 Heteronyme? Ich fass es nicht.

          Liebe Grüße

          Achim

  3. Das, lieber Achim, was du schreibst, ist exakt das, was Karl Ove Knausgaard in seinem Roman “Kämpfen” gestaltet. Und das scheint es zu sein, was der post-moderne Buchmarkt verlangt, denn Knausgaard ist ja – ich meine zu recht – zur Zeit der Star unter den Autoren weltweit.
    Mit herzlichen Grüßen vom kleinen Dorf am großen Meer
    Klausbernd 🙂

    • Ich bin leider kein Knausgaard Freund. Wenn ich schreibe, dass der Autor hinter seinen Geschichten verschwinden sollte, haut uns Knausgard nichts anderes als sich selbst um die Ohren. Kein menschliches Wesen kann auf eine solche schier “übermenschliche” Masse an persönlichen Erfahrungen zurückgreifen, um daraus ein 6 bändiges Werk zu schustern. Es sei denn, dass hinter der pseudo-biografischen Erlebniswelt die pure Phantasie und Lust an der Generierung eines Charakters steckt, den man gerne mit Karl Ove Knausgard verwechselt.

      Liebe Grüße aus Freiburg

      Achim

  4. @ Stefanie
    wow, liebe Stefanie, das ist ein wortgewaltig, toller Text! 🙂 Er hat mich gleich angeregt, in unserer Hausbibliothek nach Pessoa zu suchen – und das will etwas heißen, da ich eigentlich weitgehend nordische Literatur sammele und lese. Aber du hast mich neugierig gemacht. Danke!
    Ich bin übrigens der Meinung, dass der moderne Roman ein Rezeptionsverhalten verlangt, das du ansprichst, man nimmt ihn wie eine Werkzeugkiste, nämlich sich das heraus, was man versteht, was einem anspricht. Man muss nicht alles in ihm verstehen, was bei dessen Subjektivität auch gar nicht verlangt wird. Es würde letztlich zur Ich-Auflösung des Rezipienten führen.
    Mit lieben Grüßen vom Meer
    Klausbernd

  5. Lieber Klausbernd,

    ganz lieben Dank für Deine Worte…ich war ziemlich baff von Achims Text, darin steckt bildgewaltig für mich Nachvollziehbares, Wahres. Eingerahmt von Heine UND Pessoa – das war so alles zusammen genommen eine dreieinige literarische Vollwert-Dröhnung, doch das kenne ich aus diesem blog hier erfreulicherweise ja schon…
    … und bin beglückt, wenn es in mir herumsynapst und sich verselbständigt in Form einer Lyrik oder anderen Worten. Ich bin schon dicht am Karl Ove Knausgard dran, Du verweist des öfteren auf ihn und ich möchte gern Einblick nehmen in sein sechsbändiges autobiografisches Werk – es erscheint mir als ein beherztes Wagnis. Er selbst, so las ich bei Wikipedia sagt, seine Bücher täten allen weh -später auch seinen Kindern. Hm, darüber denke ich nun weiter nach, es ist eine Ansage..doch muss ihn nun erst einmal lesen und bin gespannt auf ihn. Ein Satz, den ich justamente als ersten Schnupper-Satz von ihm las: “Für das Herz ist das Leben einfach. Es schlägt solange es kann.”
    aus seinem Buch “Sterben”, hat mir imponiert, weil er so kurz und knackig, wahr ist.
    Vielleicht sind Bücher Werkzeugkisten, ja, das klingt mir prima praktikabel. Für mich sind Bücher oder Texte wie Persönlichkeiten, denen ich mich nähere weil sie mich faszinieren und dazu bringen, etwas wissen oder erfahren zu wollen. Fernando Pessoa ist ein echtes Schwergewicht für mich philosophische Westentaschen-Vagabundin…. manche Stellen wiederhole ich mir langsam laut, damit ich ihre Poesie besser fühlen kann wie eine Musik in Ohren klingen mag…total subjektiv und ganz ohne einen Weisheitserlangungs-Anspruch, dann gereichen sie mir in ihrer sprachlichen Schönheit und dem Rhythmus ihrer Worte wie ein Trunk gegen Seelendurst. Und dabei lese ich Pessoa nur in Deutsch. Wie fantastico muss er erst in Portugiesisch sein…?
    Nun verkrümele ich mich.
    Bin hier nur ein Gast und habe mich mit Worten hier breit gemacht…
    Entschuldigender Wink zu Achim und viele liebe Grüße von
    Stefanie

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