An der Passionsgeschichte erschüttert mich mehr die Passion, die Entzückung, die Leidenschaft, mit der das Auditorium dem Leiden des Delinquenten beiwohnt. Meine Erschütterung könnte insofern die geschickte Verschleierung der gleichen Entzückung sein. Solange es den Anderen gibt, richtet sich ein Sadismus auf ihn. Wir sind die Anderen, die passive und aktive Stätte des Autodafés.
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Die erste, mir bewußte Erfahrung eines Wunders (eines kindlichen Wunderglauben) ereignete sich an einem Ostersonntag. Mein Vater und ich sind auf Wanderschaft. Überall, aus einem Nichts heraus, kleine Nester, ins Gestrüpp, ins hohe, taunasse Gras drapiert, voll mit schokoladigen Genüssen, den wichtigsten Dingen, die mich, ganz materialistisch orientiert, am Osterfest interessierten. Oder Ostereier, die im Flug an mir vorbei sausten. Die reiche Beute eines Sonntags, ohne zu wissen, dass die Quelle der wundersamen Materialisierung meiner Begehrlichkeiten mein Vater war. Ich weiß nicht mehr, wie jung ich damals war und auch nicht, wer mir späterhin bei der Entmythologisierung der gotterfüllten, kindlichen Welt zur Seite stand.
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Wenn es denn zutrifft, dass die westlichen Gesellschaften metaphysisch ausgehöhlte Welten sind, dann muss nicht zwangsläufig die Rede davon sein, dass nur die uralten Kulte der Religionen diese Leere ausfüllen könnten. So, als wäre der Unglaube die Ursache und das Ergebnis der Wertelosigkeit. Wie dreist und frech ist das behauptet.
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Als ich meinen Vater fragte, ob es jemals wieder Krieg geben würde, einen Krieg, den die Deutschen erleiden oder anzetteln würden, hat er das verneint. Er konnte nicht wissen, wie sehr er mich durch diese Antwort von Ängsten befreite. Ich konnte nicht wissen, ob er es mit vollster Überzeugung meinte oder wusste. Seine Antwort hält bis heute ihr Versprechen. Was ich jetzt fürchte, ist, dass er gehen wird und mit ihm der auf Widerruf gestundete Frieden.
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