Notate 8 – Intoleranz

Jetzt haben sie die Bäume vor meinem Fenster gefällt. Der freigelegte Blick hinaus, auf Straße, Verkehr, auf Menschen, bricht in meine fette Selbstgenügsamkeit ein. Die Jalousien übernehmen jetzt die Rolle der Bäume. Wie kann ich Migration begrüßen, wenn ich die Immigration des freien Blicks in mein sediertes, weltabgewandtes Bewußtsein nicht ertrage?

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Umberto Eco schreibt von der Intoleranz, dass sie biologische, vorbewusste Wurzeln hat. Wir sind Tiere, die um Territorien kämpfen. Wir ertragen die Andersartigen nicht. Weil sie eine andere Hautfarbe haben, weil sie eine uns unverständliche Sprache sprechen, weil sie Frösche, Hunde, Affen, Schweinefleisch, Knoblauch essen, weil sie sich tätowieren lassen und so weiter.
Nicht die Doktrinen der Verschiedenheit, so Eco, bringen die rohe Intoleranz ans Licht. Es ist der diffus vorhandene Bodensatz von Intoleranz, den sich die Doktrinen zunutze machen.

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Der verstorbene norwegische Ethnologe und Anthropologe Frederik Barth kommt in seiner Forschung zu dem Schluss, dass  Grenzen nicht gezogen werden, weil man Unterschiede erkennt, sondern dass bereits vorhandene Grenzen in den Köpfen Unterschiede erfinden.

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Umberto Eco, 1997:

Die Phänomene, die Europa heute noch als Fälle von Immigration zu behandeln versucht, sind (…) schon Fälle von Migration. Die Dritte Welt klopft an die Pforten Europas, und sie kommt hinein, auch wenn Europa sie nicht hereinlassen will. (…) Europa wird im nächsten Jahrtausend (…) ein vielrassischer oder, wenn man lieber will, ein “farbiger” Kontinent sein. Ob uns das passt oder nicht, spielt dabei keine Rolle.
Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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2 Comments

  1. stimmt….leider.
    Und dieser farbige Mischkontinent der Zukunft wird den kulturellen Rückschritt in Kauf nehmen müssen, wie einst das römisch geprägte Europa. Vieles wir wiederum in Vergessenheit geraten, was schon einmal war.
    Listen to “FEAR” – Marillions spätem Meisterwerk von 2016.

    • So steht es zu vermuten. Und es ist die Unausweichlichkeit der Vermischung, die höllische Ängste provoziert. Alles entscheidend: Führt diese Angst zu unbeherrschbaren kriegerischen Auseinandersetzungen?

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