Wir sollten innehalten und überlegen, wie beschaffen unsere Vorstellung von Freiheit wirklich ist, die wir in diesen Zeiten glauben verteidigen zu müssen. Wie beschaffen unsere Ideen von Gleichheit und Brüderlichkeit tatsächlich sind. Ob der Reflex der Fremdenangst sich nicht nur auf das unfassbare Außen richtet, sondern seine kalten, menschenverachtenden Tentakel schon  immer auf diejenigen gerichtet hat, die unsere Nachbarn sind. Nachbarn des gleichen Viertels, der gleichen Straße, des gleichen Hauses. Nachbarn der gleichen politischen Idee eines freien Europa.
Wenn Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit Träume waren, so sind wir schon lange daraus erwacht.  Von den Werten der sogenannten freien Welt zu träumen heißt, beim Erwachen in nicht nur diesen Tagen in die reale Fratze des Raubtierkapitalismus zu blicken. Und wir wissen, daß wir auf die erfindungsreichen Märchen unseres Verdrängungsapparates angewiesen sind, ohne den wir ganz und gar  an den Strategien der Verwertungsmaschinerien von Mensch und Material verzweifeln müssten. Freiheit, die ihren Namen verdient, oder Brüderlichkeit, entfalten sich vollständig erst in der Nähe zu einem Fremden. Oder sie scheitern kläglich, weil sie das Fremde nicht mitdenken, es zur disponiblen Masse von Abwehrhaltungen herabwürdigt.  Aber ohne die ausgehaltene Nähe zum Fremden sind Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nichts.
Der islamistische Terror, als dessen umtriebiger Co – Geburtshelfer der Westen sich jeden Tag aufs Neue bewährt, vielleicht ist dieser Terror nur der Zwilling des Terrors einer sinnbefreiten Leere, die in uns herrscht, da es uns an wahrer Liberté, Egalité und Fraternité systemisch gebricht. Betroffenheit und Erschütterung sind nicht das moralische Privileg des Westens. Noch sind es Trauer und Wut. Der Blutzoll der Muslime, die dem gleichen Terror zum Opfer fallen, ist dem Westen in den Gazetten des Mainstreams nur eine Fußnote wert und wiegt doch um so vieles mehr. Unsere Trauer ist wählerisch. Unser Zorn sektiererisch. Der Begriff der Freiheit ist ohne das Eingeständnis eigener Schuld und der Demonstration von Scham nichts wert. Nothing comes from nothing.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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26 Comments

  1. Lieber Achim,
    ich habe gerade auf unserem Blog auf deinen Artikel verwiesen. Da bin ich aber sehrst gespannt, wie unsere Mitblogger darauf reagieren werden.
    Mutig, indeed, in diesen Zeiten. Ich hoffe, dass du damit den Diskurs beleben kannst.
    Mit liebn Grüßen vom Meer
    Klausbernd

    • Hallo Klausbernd, liebe Hanne

      auf diesem Weg wünsche ich euch ein frohes, besinnliches Weihachtsfest und ein glückliches, zufriedenes und gesundes neues Jahr.

      Liebe Grüße nach Cley und Bonn, oder Norwegn, wo immer sich auch Hanne gerade aurfhält 🙂

      Achim

      • Lieber Achim
        Ganz herzlichen Dank von uns aus dem frühlingshaften Cley, wo wir alle gemütlich zusammenhocken und Weihnachten und das neue Jahr feiern werden.
        Liebe Grüße, alles Gute und mach’s gut
        👭💃🚶
        The Fab Four
        Und speziellen Feenhauch von Siri und Selma für ein höchst angenehmes neues Jahr 💥💫✨

  2. Denkenswert, lieber Achim! Ich reiche deine Anmerkungen an Facebook weiter. Dort wo zigtausende User sich aus Solidarität mit Frankreich Flagge zeigen. Die aufkeimende Kritik an die selektive Verbrüderung zeigt wie recht du hast.
    Liebe Grüße aus dem Rheinland,
    Dina

    • Hallo Hanne,

      lieben Dank für deine “Weiterreichung” des Beitrags an Facebook 🙂 Schock und Entsetzen über dieses unmenschliche Attentat sollten nicht darüber hinweg sehen, wo genau die Gründe dafür liegen und welchen Beitrag auch wir letztlich daran geleistet haben. Ob uns das passt oder nicht.

      Liebe Grüße

      Achim

  3. Lieber Achim, mir gingen vorhin ähnliche Gedanken durch den Kopf, als ich die Abendsendungen im Radio hörte, das Wort Freiheit tauchte dort schon fast inflationär auf, glauben sie wirklich, was sie sagen? Und was wird uns erzählt? Schon tauchen Ungereimtheiten auf, aber deine Frage erscheint mir ziemlich wichtig: wie frei sind wir wirklich?
    Danke und herzliche Grüsse
    Ulli

    • Wir sind nur insoweit frei, wie wir die Freiheit anderer achten, in jederlei Hinsicht. EIne Art kosmopolitische Freiheit. Die ist in Deutschland und anderswo aber nicht sehr weit verbreitet.

      Trotz alledem wünsche ich dir und deinen Lieben ein besinnliches, frohes Weihanchtsfest und ein gesundes neues Jahr.

      Gruß

      Achim

  4. Sprichst mir sehr aus der Seele, Achim. Ich wohne in einem Multikultihaus. Meine Nachbarn Tür an Tür sind Türken, strenge Muslime. Aber höfliche und freundliche Menschen. Wir vertragen uns hier alle gut miteinander: die Russen unten, die Deutschen und die Türken oben und die Algerier in der Mitte. It works. Wenn alle es wollen…
    Liebe Grüße✨

    • Wenn alle es wollen, ja. DIe Zahl derer, die es nicht wollen, über diese Zahl wird uns das nächste Jahr mehr berichten können.
      Bei mir herrscht das ungute Gefühl vor, mich wappnen zu müssen gegen immer geifernde und plärrende Stimmen.

      Trotzdem, ein schönes Weihnachtsfest für dich und deine Lieben.

      gruß

      Achim

      • Ich teile Dein ungutes Gefühl… Und ich lasse nicht darin nach, den Plärrern und Geiferern etwas entgegenzusetzen, das sich über ihr Niveau stellen möchte. Ich wünsche Dir und Deinen Lieben ebenfalls ein schönes Weihnachtsfest. Liebe Grüße von Stefanie

  5. Ich bin ja immer dafür vor der eigenen Tür zu kehren, aber es ist nunmal eine Tatsache, dass es sich bei den Attentätern um ein paar Arschgeigen handelt, denen ein Menschenleben nicht viel bedeutet und die darüber hinaus ein Problem mit Frauen, Homosexuellen und Demokratie an sich haben. So ein Verhalten führt bei mir jetzt nicht gerade dazu, die Gründe beim Westen zu suchen, obwohl ich die hegemonialen Kräfte im Nahen Osten wahrnehme.

    • Wenn es so wäre, dann hätte der Westen keinen Grund vor diesen “paar Arschgeigen” zu bibbern. Aber es stellt sich dann doch ein wenig komplexer dar, und das Kehren vor der eigenen Haustüre sollte sich gerade die “grande Nation” einmal dauerhaft angewöhnen, wie der Rest des Westens insgesamt.

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