Novemberblockade

Alle Jahre wieder. November. Wie überwinde ich eine Schreibblockade? Ganz einfach, ich suche mir Blockadebrecher. Nicht so einfach, stelle ich fest. Alkohol- und Nikotingenuss sollen helfen, las ich. Dr. Samuel Johnson meinte, dass Jungs  Claret trinken, Männer Portwein, doch wer ein Held sein will, trinke Cognac. Das Schreiben eines Blogs macht noch keinen Helden aus mir. Also fällt Cognac zum Brechen der Blockade weg. Die verstorbene polnische Lyrikerin und Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska schwor auf das Kettenrauchen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es Schriftsteller ohne Nikotin auch nur annähernd zu großen Schaffenswelten führen könnte. Die Dame wurde sehr alt, was dem Brechen der Blockade noch ein medizinisches Wunder hinzufügt. Da ich wie ein Schilfhalm im Wind mich einmal in Richtung Kettenrauchen neige und zweimal mit voller Verachtung diese Gier in mir zu vernichten trachte, bin ich ein schlechtes Anschauungsobjekt für die Segnungen des Nichtrauchens oder Rauchens in Bezug auf die Schaffens- und Zeugungskraft.
Andere Genussmittel wie Erdnüsse, Bitterschokolade und Würstchen im Schlafrock fallen im Akutzustand meines Jetztseins aus Gründen strengster Diät aus. Selbstkasteiung ist die Devise. Wobei hierbei schon wieder die Dialektik des Entweder-Oder zuschlägt, ohne Auflösung durch eine gesicherte Synthese am Ende der Gedankengänge. Denn meines Wissens waren die Anhänger mittelalterlichen Flagellantentums nicht nur aus Gründen der Buße und Reue auf der Straße. Da schossen ihnen auch schon mal Tränen der Verzückung und Ekstase in die Augen. Der Serotoninspiegel konnte sozusagen in den Wasserstandsmeldungen der Tränenflüsse abgelesen werden. Kreative Schübe waren dabei nicht ausgeschlossen, nach dem Motto: Selbstqual macht erfinderisch.
Diesen Umstand trifft man heutzutage in der säkularen Variante der Selbstgeißelung, dem Masochismus,  immer noch an. Wobei ich vermute, dass die Kleiderordnung der modernen Flagellanten sicherlich akzentuiert modischer daherkommt und sie dem Nützlichkeitsgedanken einer der Qual zuträglichen Kluft eher huldigen als ihre Vorgänger. Allerdings dealen auch sie mit einer Art Gott, dem Dom. Aber ich schweife ab.
Die Anhänger der griechischen Gottheit Dionysos, da wette ich einen Glimmstengel drauf, waren auch Satansbraten der Lust und nicht nur auf die rituellen Feierlichkeiten ihres Kultes aus. Bei ausreichender Zufuhr von Wein und anderen Rauschmitteln schlug die Anbetung der Gottheit rapidement in irdische Gelüste und körperorgiastisches Empfinden um. Wo Orpheus noch auf seiner Lyra spielte, vollzog sich der geschlechtliche Akt quasi unter seinen virtuellen Augen. Ich bin mir sicher, dass dieser Tatbestand seine künstlerische Seele eher angespornt als gehemmt hat. Alter Grieche.
Das Betrachten orgiastischer Szenerien aber, als Blockadebrecher, fällt mir ebenfalls geradewegs über den Tellerand. Ich bin leider etwas einfacher gestrickt als Orpheus und würde die Blogkunst, für einen kleinen Tribut an meine Lust beim Heraufziehen niederster Triebe,  schnöde sausen lassen.
In summa: Wein, Weib und Gesang fallen also weg. Nikotin gleichfalls, mein Schilfhalm hebt  nämlich just den Daumen Richtung Enthaltsamkeit. Sich mit Schnürsenkeln geißeln, na ja, als zynische Replik auf den Gebrauch von Peitsche und Flogger gerade noch tauglich, aber nicht verwendbar zur Beförderung brachliegenden Ideenreichtums. Was bleibt also?
Whisky, jawoll. Von wegen Cognac. Einfach einfach und einfach simple, nicht wahr? Den obigen Sermon hätte ich mir sparen können, falls ich ehrlich hätte sein wollen. War ich aber nicht, ehrlich. Nach dem ersten Schlückchen des 16 Jahre alten Lagavulin, fiel mir die Idee, etwas über Schreibblockaden zu fabrizieren, wie aus Hermes` Karaffe geradewegs in meine Tastatur . Sláinte.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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21 Comments

  1. Geht doch! Hemingway übrigens schrieb meines Wissens immer nur dann, wenn er nicht getrunken hatte. Im Stehen dazu. Vielleicht wäre ein Stehpult auf die Dauer die Alternative schlechthin. Verbraucht womöglich auch mehr Kalorien..;-)

  2. Auch gut: Nix schreiben. Oder, wie Camus mal trefflich anmerkte (ich glaube in “Der Fremde”): Ich schweige, wenn ich nix zu sagen habe.

    Andererseits wäre dann Dein treffliche Beitrag nicht entstanden 😉

  3. Verehrtester, Sie sehen mich angemessen schalllachen. Las man je amüsementreichere Gedanken über Blockaden der schreibenen Lust? Und Ihre Erörterungen, welch’ Bogen sie umfassen. Fast wünscht man sich…, ähem, nein, natürlich nicht! Möge immer ein Schreiblustanschmiegsamgaumenelexier griffbereit für Sie parat stehen. Prost mit schnödem Kamillentee! (Verdammt, jetzt habe ich Gelüst auf schärferes Getränk, muß aber noch das Automobil bewegen, verflixt!)
    Feinstabendgrüße, Ihre Frau Knobloch, whiskywillig.

    • Bereits die Recherche übertölpelte die Blockade, Werteste. Und holen Sie bitte um Ihres Himmels willen das scharfe Getränk schreibluststeigernd nach. Und lassen Sie das Auto schmollend in der Garage stehen. Ich danke Ihnen hochehrerbietig für diesen satten Knobloch’schen Kommentar und verbleibe

      der Ihre ..

      A.S.

  4. Ich verwette einen Glimmstengel darauf, dass Hemingway eine ähnliche Erfahrung im Hinterkopf hatte, als er formulierte: “Write drunk, edit sober!” Herrlich!

  5. Willkommen dem November, bringt er doch solche Geschenke wie diesen Beitrag.
    Sie gestatten mir ein Gläschen Dresdner Engel dazu?
    Hm, nun bin ich ganz bei Ihnen und es perlt in der Kehle und in den Fingerkuppen.

  6. das hat doch bestens funktioniert, ein Gläschen vom feinsten, was auch immer noch, ich bevorzuge ja gerade Calvados, und schon fliessen die Worte in die Tasten und lassen die Leserschaft amüsiert zurück … einfach herrlich!
    und was nun den Novemberblues anbelangt, so empfehle ich eine Bilderflut von den vorherigen Monaten und Literatur, da lässt sich dann bestimmt das eine und andere weben, aber ich glaube, das weisst du schon 😉

    herzliche Grüsse vom Berg ins Tal
    Ulli

    • Gerade erst wurde in Freiburg die Nebeldecke gelupft. Nach all den Nebeltagen eine Aufmunterung zur rechten Zeit. Ein Tässchen Grüntee muß es richten. Alkoholisches passt zur Zeit überhaupt nicht. Das Wochenende wird sich um die Bilder der vergangenen Monate kümmern und um die Eindrücke der wärmeren Witterungen. Und lesen, ganz richtig, liebe Ulli, lesen ….

      Liebe Grüße hinauf zum Berg

      Achim

  7. Dabei ist Cognac mein Getränk der Wahl… Schreibblockaden hat er bei mir zwar noch nicht gelöst, dafür aber ein paar verkrampfte Muskeln! Ich hoffe, Lagavulin tut dasselbe für dich!

    • Lagavulin ist aktuell nicht vorrätig, aber Abeleour wird es auch tun, so hoffe ich doch, obwohl mir gerade der Sinn nach warmem Tee steht.

      Liebe Grüße

      Achim

  8. Da hast Du mich nicht nur zum Lachen gebracht, sondern auch meinen Geschmacksnerv getroffen. Wobei mein Liebling immer noch der 21jährige Balvenie Portwood ist. In diesem Sinne, Slainte.

    • Boah, liebe Peggy, Balvenie, und 21 Jahre, du Glückspilzin 🙂 Ein virtuelles Prösterchen scheint jetzt angezeigt. Ich wünsche dir erhebende Momente im November, obwohl dieser Monat, so scheint mir, geradezu angefeindet wird, wenn ich mich so umhöre. Nichtsdestotrotz, es kommen wärmere Tage, nach den kalten, aber immerhin.

      Liebe Grüße an dich und den kleinen Entdecker

      Achim

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