Schöne Augen

Der Abend, an dem ich mich zum Trottel machte. Damals, in Bad Nauheim, während eines Kuraufenthaltes  (für all die Myriaden Leser, die es noch nicht mitbekommen haben).

Ich warte auf den Aufzug hoch in den vierten Stock. Der Aufzug hält, die Tür geht auf, ich taumele mehr als zu gehen hinein, um festzustellen, dass er brechend voll ist. Wirr trete ich wieder hinaus, nicht ohne zuvor SIE, klein und hübsch und still und anmutig (und all das, was meine Wasser im Mund zu einem Ozean anschwellen lassen, nichts direkt sexuelles, aber ich lebe ja auch nur aus der Handtasche meiner platonischen Freuden, sic!) in der hinteren Ecke des Gefährts erblickt zu haben.

Ein sachter Hüpfer im Herz und dann die geradezu idiotischen und unhaltbaren Sätze: “Tut mir leid, ich habe es mir anders überlegt, ich trete hiermit zurück, sage aber, dass mir das Zurücktreten sehr leid tut, befindet SIE sich doch hier, in diesem Lift, die Frau mit den schönsten Augen, und das ist mein voller Ernst”.
Die Tür schließt sich und ich höre noch IHRE Stimme: “Wie, was? Was und wen hat er gemeint? ” Und eine andere Dame, im bereits fahrenden Lift, mit einem leicht muffigen Unterton der Besserwisserei, sagt: “Wir wissen doch schließlich alle, wen er gemeint hat.” So ist das. So ist das mit dem Stigma schöner Augen, dachte ich bei mir, alle denken es, ich spreche es aus, Trottel der ich bin. Ich und meine leichte Neigung zum Hahnrei, obwohl keine Konterbande je zwischen IHR und mir geschmuggelt wurde, keine Hochzeit ansteht, und der krude Gedanke meiner Verlobung mit IHR sich schon wieder wie eine Schildkrötenköpfchen zurückgezogen hat. Etwas zu konstatieren, was alle bereits denken, bricht nämlich der Krone der Anbetung dieses Geschöpfes bereits den einen und anderen Zacken wieder heraus.

Vielleicht wäre es höherer Genuss, später, viel später, mich für meinen Übergriff bei IHR zu entschuldigen. So ging es mir durch den Sinn. Vielleicht läge darin mehr Würze der Emotion, ein schöneres Hohes Lied der Anständigkeit (da hinter dem Anstand sich manchmal auch die Untiefen geilen Gedankenguts verbergen und aufplatzen wie Erbsen in heftigem Frost, so meine Hoffnung, ich gestehe). Das “Später” war dann an der Reihe, wie es sich gehört, später eben. Ich verstellte IHR forsch den Weg zum Refektorium und übergab IHR meine Litanei der Entschuldigung, wie ein Messdiener den Wein  den unwilligen Abendmahlfetischisten kredenzt. Sie schaute mich von unten herauf an, was einer Arroganz ziemlich ähnlich kam und mich beunruhigte, da sich Überheblichkeit normalerweise von oben nach unten auszubreiten pflegt. Damit einher kam ein Lächeln, daraus ein prustendes Lachen wurde und SIE sagt: “Ich habe mich schon gefragt, wer denn dieser Mensch gewesen sei, der sich so schamlos über meine schönen Augen hergemacht hat.”
Sie sagte das, als hätte sie keine Augen im Kopf, von schönen ganz zu schweigen, und degradierte solcherart meinen hingebungsvollen Auftritt zu einem Hörspiel der langweiligeren Art, zu dem soufflierten Akt der ewigen Wiederholung der ewig gleichen Machoworte von IHRO Gnaden schönen Augen. Sie will mich nicht dabei gesehen haben? Mein  Trost lag hier und jetzt nicht in der Philosophie allein (normalüblich greife ich bei tief empfundener Schmach auf Kant’s kategorischen Imperativ zurück oder zu  Boethius’  “Trost der Philosophie” oder auf beides). Meine Art Trost war profaner, als ich mich in meiner Kemenate von der Scham der Einfaltspinselei befreite und mir im Spiegel auf ein Schlückchen Whisky zuprostete und SIE insgesamt der Spiegelfechterei bezichtigte: “Auch schöne Augen können lügen.”

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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13 Comments

  1. Wertester, ich bitte Sie inständig, tun Sie es wieder! Sagen Sie es wieder. Nicht der einen mit den falschschönen Augen. Nein, einem anderen Menschenkind. Wem ob eines spontanen und zudem direkt ersonnenen, ergo ehrlichen Kompliments, ein Zacken abzubrechen droht, nun, der hat Ihr Augenmerk nicht richtig verstanden. Ganz zu schweigen von der Schmallippenziege, die im Tone sich gänzlich vergriff. Wenn wir immer mehr Wohlworte unterdrücken, aus Furcht mißverstanden zu werden, dann haben die Flappenzieher, Notorischnörgler und Motzmaulaffen bald gewonnen. Stets Wohlworte auf der Zunge tragend, grüßt herzlich Ihre Frau Knobloch, zugetan.

    • Vorsicht sei die Mutter meiner noch zu erwerbenden Porzellankistengroßhandlung. Wiewohl ich keine meiner Patschhändchen ins Feuer legen werde, um den Beweis anzutreten, dass ich meiner inneren Stimme je lauschen werde, die mir in Dingen der Liebeshändeleien die intensive Sondierung des verminten Terrains anempfiehlt. Die Vorsicht und die Geduld, sie werden sich nie mit mir verschwistern dürfen. Das verspreche ich Ihnen. In Ihre samtweiche Hand.

      Hochachtungsvoll

      Ihr A.S.

      • Sanftseufzend nehme ich dieses Versprechen an und wünsche von Herzen, daß die nächsten Wohlworte nicht wieder falschschönen Augen gelten mögen. Und betrachte sodann meine Ackerdamenhand, die mir auf einmal wie gecremtpudertzart erscheint. Was so ein Famosversprechen alles vermag, wahrlich erstaunlich, Verehrtester!
        Staunende und wohlige Grüße, Ihre Frau Knobloch.

  2. Ich musste beim Lesen schon sehr lachen!
    Was den ersten Teil mit dem Fahrstuhl betrifft: Umgeben von so vielen Menschen wäre es mir aus Sicht der Dame unangenehm gewesen so unvermittelt und unvorbereitet in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gezogen zu werden. Ich hätte versucht mir einzureden, nicht gemeint worden zu sein, wenn ich überhaupt verstanden hätte, was du damit ausdrücken wolltest. Vermutlich nicht und ich wäre den Rest des Tages mit einem Fragezeichen im Gesicht herum gelaufen und hätte versucht die gesagten Worte zu rekonstruieren.

    Zum zweiten Teil, auch eine plötzliche Konfrontation aber immerhin ohne Publikum.
    Ich hätte vermutlich auch gelacht. Vielleicht, weil ich den Worten meines Gegenübers fehlende Ernsthaftigkeit unterstellt hätte, vielleicht, weil mir meine Augen selbst ziemlich normal vorkommen, vielleicht weil ich den Satz mehr als Taktik verstanden wissen wollen würde, vielleicht, weil es leichter ist, alles erstmal ins Lächerliche zu ziehen.
    Nur wäre die Szene für mich an dieser Stelle nicht zu Ende gewesen, sondern erst der Anfang.

    Um einen kurzen Bogen zu „I Love Dick“ zu schlagen: Dick wollte nie Ziel von Chris’ Begehrlichkeiten sein. Obwohl sie ihn mit Liebesbriefen überhäufte, obwohl sie jeden Tag an ihn dachte, war sie ihm schlicht egal, sein Desinteresse hätte kaum größer sein können. Die Realität hat Chris ziemlich in die Fresse gehauen.

    Ich muss zugeben, dass die von dir beschriebene Szene mich auch an ein ungutes Erlebnis erinnert. Es ist so lange her, dass ich nicht einmal sicher bin, ob es sich wirklich so zugetragen hat. Ich war vielleicht 12 und im Schwimmbad, genau vor mir im Becken, war ein Junge mit wunderschönen blauen Augen. Und ich tat etwas, dass ich weder davor noch danach jemals in dieser Form getan habe: Ich sprach ihn an. Nein, wenn ich es recht bedenke, war es vielleicht nur ein lautes Selbstgespräch. Jedenfalls sagte ich etwas Geistreiches wie „Ich wusste gar nicht, dass es hier im Schwimmbad so süße Jungs mit so wunderschönen Augen gibt.“
    In dem Moment, als ich es ausgesprochen hatte, viel der Schleier vor meinen Augen und ich erkannte, was ich getan hatte, ich, die etwas pummelig in ihrem hässlichen Badeanzug mit nassen, ins Gesicht geklatschten Haaren und Pickeln im Gesicht in einem Schwimmbecken stand. Ich hatte mich entblößt und ausgeliefert, also tat ich das einzig Sinnvolle und trat die Flucht an, stieg aus dem Becken, verabschiedete mich von meinen Freunden und verließ das Schwimmbad ohne mich noch einmal umzudrehen.

    • Der Text brachte mich auch zum Schmunzeln. Einer sagte mir mal, die Frau sei die einzige Beute, welche ihrem Jäger auflauern würde, vielleicht auch, indem sie schöne Augen macht. Doch nicht, indem sie über ein anderes Interesse nur lacht.
      Die Kommentatorinnen sagen hier heute viel besser was mir so ähnlich durch den Sinn ging. Dein Text ist ein Leseschmaus, leider ging er traurig aus. Ich sage meinen Lesedank in die erbauliche Runde und drehe ab zur nächsten Flugstunde. weh, diese Fee…:-)
      Liebe Sommergrüße

      • Ach, so traurig ging die Geschichte dann doch nicht aus. Ich habe mich damals wieder meinen Büchern gewidmet. Da durften sich die Helden ihre eigenen Reime auf schöne Augen machen, oder auf die Heldinnen. Vor des Helden Untergang zu warnen, das geht leichter von der Hand, als sich selbst als gefährdet zu empfinden.

        Liebe, sommerliche Grüße

        Achim

    • Die von dir genannten Gründe, zurückhaltend auf eine ähnliche Situation zu reagieren, sind keine an den Haaren herbeigezogenen Indizien für grundsätzlich inkompatible Verständigungsweisen der Geschlechter. Natürlich geht es da immer auch um mangelnde Ernsthaftigkeit, um Taktik, um Verführungsabsichten, um das Theater der Eitelkeiten. Aber auch um die Nichtpreisgabe der eigenen Schwächen. Es geht auch immer um einen Kokon der Sicherheit. Aber, wie du so schön sagst: Es wäre nicht das Ende von Allem, sondern erst der Beginn. Wenn man es denn weiterhin im Schwimmbad aushält 🙂

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