Geduld ist keine Tugend

Geduld ist mehr als nur schiere Verschwendung von Zeit. Der Stillstand der Zeit ist ihr physikalisches Äquivalent. Sie ist das interesselose Wohlgefallen am Nichts. Sie ist die Angst vor der Tat, das Ferment der Nichtsnutzigkeit. Sie ist im Alter keiner unterstellten Weisheit geschuldet, sondern der tieferen Einsicht,  die natürliche Begleiterin nachlassender Kräfte zu sein. Ein Schaumkrönchen auf schwindenden Begierden. Ein Reflex auf den Zuwachs unproduktiver Stunden, die man grübelnd und stammelnd verbringt. Die Geduld erscheint als verführerische Antwort auf die Seelennot sich auflösender personaler Identität, welche befeuert ist von der Gebrechlichkeit des Körpers und der psychischen Zustände, die sich nicht mehr heften lassen an diejenigen Zustände der großen Zeit des großen DAVOR. Geduld ist der Sarkophag, in dem die Erinnerungen überleben mögen. Dabei verkennt sie, das vorausgelebte Erinnerungen kaum mehr möglich sind. Der Gefrierbrand von Tun und Gedanken ist die Metapher der Zäsur, die Tattergreise aus uns macht. Am Ende ist Geduld die Einsicht in die schneeverwehte Hoffnung und der lichte Blick des grauen Stars auf die Korrosion des Glaubens. Sie sollte also fluchen auf sich selbst. Noch bevor wir, ich und die Katatonie, am Fluß sitzen und meine Leiche vorüberschwimmen sehen, irgendwann. Rage against the dying of the Light.

 

 

 

 

 

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

Articles: 604

16 Comments

  1. Und demnach wäre ihr Gegenteil, die Ungeduld, was? Jederzeit zur Stelle sein, die Tat in diesem Moment nicht nur zu tun, sondern sie und ihre Folgen zu übersehen? Und wissen, wie es anstellen?
    Habe Geduld nie als Stillstand gesehen, sondern als Einsicht in die Notwendigkeit kleiner Schritte, aktives Warten sozusagen.

    Und an ein Gleichmaß personaler Identität glaube ich nicht. Sie ist vielmehr ein dynamisches Zusammen- und Widerspiel vielerlei Variationen, zwischen zahlreichen Ichs.

    Der Fluß geht mitten durch uns durch.

    Freundliche Grüße
    Ihr Herr Hund, mit zu viel Philosophie im Tee

    • Ja, die Theorien der Identität. Eine Person sei dann mit sich identisch, wenn sie a.) über einen bestimmten Zeitraum hinweg diesselbe Psyche, also denselben Charakter und diesselben Erinnerungen hat. b.) denselben Körper besitzt oder c.) wenn sowohl Körper und Psyche diesselben bleiben.
      Ich vertraue in Bezug auf meine Identität auf den intrinsischen Blick einerseits, der mir beweist, dass es immer Ich bin, der sich wohl ändern mag. Desweiteren auf den extrinsischen Blick auf mich, den mir alle, die mich in den unterschiedlichsten Stadien meines Lebens kennen und begleiten, zuwerfen und bestätigend von dem Du reden, der ich in ihren Augen bin und immer war. Dass sie mich manchmal nicht wiedererkennen, geschenkt 🙂

      Das schlimme an der Geduld ist meines Erachtens gerade, dass sie keine Alternative duldet. Sonst wäre sie vermutlich sogar ungeduldig. Wie schön wäre es, wenn man die Ungeduld von ihrem Makel befreien könnte, sie sei vorschnell, sie würde Konsequenzen des Handelns nicht in Gänze berücksichtigen, sie schreite über die Grenzen eines Vertretbaren hinaus. Für mein bescheidenes Ich steht fest: Geduld ist keine Maxime, wenn drängende Fragen drängende Antworten erfordern.

      • Wenn die Geduld keine Alternative duldet, wäre sie schon sehr ungeduldig und wenig milde (das bei ihrem Alter). Nein, ich bin ganz bei Ihnen, wie bei jeder halbwegs lebensnahen Tugend, die gebraucht werden kann, kommt es auf die Umstände an. Und wenn Forschheit vonnöten ist, bitte sehr.

        Es gibt die Maximen und es gibt die Urteilskraft, die einen sind nur so ein ungefährer Kompass, während die andere mindestens das Segel ist (Kraft), ganz sicher aber das Steuerrad (Urteil).

        Was jetzt die Kombüse ist, klären wir ein anderes Mal.

  2. Einspruch, Euer Ehren!

    Jemanden zu begleiten, der wächst aber auch da sein, wenn einer eine Krankheit hat – egal ob schleichend oder plötzlich – das ist keine Zeitverschwendung. Es braucht Kraft, Mut, Umsicht, von mir aus auch Liebe genannt. Eben Zeit und Geduld. Wenn Du einen Artikel verfasst, so tust Du es mit der Summe Deiner Beobachtungen.

    Die Fähigkeit dazu hast Du mit viel Zähigkeit und unter Einsatz Deiner Beharrlichkeit erworben. All das braucht doch Zeit. Zeit in der man geduldig beobachtet und analysiert. Dazu setzt man sich nicht hin und sagt: “Jetzt beobachten wir mal geduldig.” – Aber man tut es doch unwillkürlich, und hört hoffentlich nie damit auf!

    Wenn Du jetzt das Gefühl hast, Du könntest einen Sachverhalt schnell erfassen und beurteilen, so ist das immer erworbene Fähigkeit – und sei es nur der Erwerb, das was Du fühlst, zu artikulieren. Unser Sprachvermögen ist möglicherweise nicht differenziert genug. Geduld, wie auch die Fähigkeit zur Liebe, ist wahrlich nicht an irgendein Alter gebunden. Vermutlich wechseln sie ihr Aussehen mit der Zeit.

    Natürlich gibt es dieses ‘interessenlose Wohlgefallen am Nichts’ – wie Du es beschreibst. Und das ist verwerflich – zumindest in unserer Kultur. Man sollte diese ‘Angst vor der Tat’ aber nicht mit Geduld verwechseln. Vielleicht ist es ‘Warten’ auf ein – wie immer auch geartetes – Ende.

    Ich danke Dir für diesen Artikel. Er ist notwendig und integer, also gut!

    Liebe Grüsse, Dein mick.

    • Lieber Mick, ich danke dir für deinen Kommentar.

      Seitdem ich blogge, stehe ich erstmalig vor einer Situation, die man vielleicht mit einem Rigorosum vergleichen kann, nämlich mit dem Umstand, gewisse aufgestellte Thesen zu verteidigen. Der Beitrag ist aber keine Doktorarbeit. Und verteidigen lässt sich eigenes Empfinden ja nicht, wenn es auf andere Empfindungen stößt. Dass der Beitrag als Thesenpapier daherkommt, sei meiner Eitelkeit geschuldet. Bisweilen benötige ich drastisch formulierte Urteile, um die Freiheitsgrade meines Denkens in eine für mich vertretbare Bahn zu zwängen. Das hat etwas von Ungeduld 🙂

      In allen Situationen schwerst – und totkranker Menschen kann ich für mich nur sagen: Es war Zorn in mir, Anklagebereitschaft, Wut auf das Unvermeidliche. Nie war da Geduld oder gemähliche, gelassene Einsicht. Du sprichst von Kraft, Mut und Umsicht, von der Liebe im Umgang mit derartigen Schicksalsschlägen. Diese Qualitäten sind notwendig. Aber sind denn ungeduldiger Mut, ungeduldige Liebe und ungeduldige Kraft in diesen Zeiten nicht auch denkbar als Vehikel einer Freundschaft, eines Beistandes und der Bewältigung von Trauer? Es gibt da kein richtig oder falsch, das möchte ich mindestens konzedieren. Aber im vorab Bedachtem dessen, was ich für das Richtige halte, möchte ich niemals nur geduldig sein, wenn es darum geht, um dieses Richtige zu kämpfen.

      Liebe Grüße, dein Achim

      • Lieber Achim,

        Du hast einen Diskurs angestoßen, dafür braucht es keine Doktorarbeit. Es braucht Überzeugungen und die sind nun mal subjektiv. Es gibt da ‘kein richtig oder falsch’. Da gebe ich Dir recht. Geduldig ein Ziel verfolgen bedeutet für mich nicht gemächlich und gelassen zu sein …

        Als Gegenteil von Ungeduld sehe ich nicht die Geduld sondern die Duldsamkeit. Das Ertragen, die Toleranz, die verschwistern sich gern mal mit der Gleichgültigkeit gegenüber etwas. Geduld hat nichts mit passivem Hinnehmen zu tun.
        Duldsamkeit schon. Duldsamkeit muss warten, ausharren.

        Geduld sucht sich Wege und kann auch Richtungswechsel vornehmen, von jetzt auf gleich. Der Geduld ist alles möglich, wenn sie nur ihr Ziel erreicht. Herr Hund sagt: “Was jetzt die Kombüse ist, klären wir ein anderes Mal.” Genau, und zwar ganz subjektiv.

        Liebe Grüsse, Dein mick.

  3. Lieber Achim, interessant, was Du schreibst. Ich gehöre selbst auch nicht gerade zu den geduldigsten Menschen. Wenn eine Entscheidung ansteht, treffe ich sie. Warten ist mir ein Graus. Aber ich habe in den letzten paar Jahren gelernt, wenn ich meinem Sohn nicht geduldig dabei zuschaue, wie er sich anzieht, dann lernt er nie, es allein zu tun. Auch wenn ich beim Zuschauen aus der Haut fahren könnte… Manchmal wünschte ich, ich hätte etwas mehr Geduld… Lieben Gruß, Peggy

    • Liebe Peggy, vielen Dank für deinen Kommentar. Die eigenen Kinderlein sind gar kleine “Monster”, die mir die Ungeduld um die Ohren schlugen. Auch war ich sehr ungeduldig damit beschäftigt, ein guter Vater sein zu wollen. Ob mein Sohn mich für einen solchen hält? Ich werde geduldig sein und warten, bis er es mir sagen kann 🙂

      Liebe Grüße

      Achim

  4. Die Geduld darf auf sich selbst auch fluchen. Sie darf ungeduldig sein und mit den Hufen scharren, intuitiv ihren Eingaben folgen und den Verstand manipulieren, wenn es –
    hochzweckdienlich ist um die seelische oder körperliche Gesundheit zu erhalten.
    Genauso zwingend anders herum, denn die Schönheit und die Kraft einer Ungeduld ist faszinierend, solange sie niemandem schadet.
    Die Jugend ist ungeduldig. Ungeduld, das junge heißglühende Gefühl.
    Geduld kann sich auszahlen, wenn es um Zielorientierung in langfristigen Prozessen geht.
    Wenn sie lächeln kann und frei des Weges ziehen, weil sie weiß, dass am Ende etwas steht, für das es sich lohnt, geduldig gewesen zu sein.
    Oder wenn Geduld Güte ist.

    Alles andere empfinde ich als Hingabe an einen Umstand, der nicht umkehrbar oder zu ändern ist.
    Manchmal dieses zähe und bittere Fügen, die abgewrackten abgespleißten Träume, ein müder Haufen Schrott.
    Es ist der Schatten der Geduld, ihre dunkle Seite, ihr Abglanz an eine Realität, die sich anders darstellt als erwünscht oder erhofft.
    Nehme ich das eine in Kauf, riskiere ich das andere erleben zu müssen.
    Das Leben ist lebendig durch die Risiken und Wagnisse seiner Herausforderungen,
    und provoziert die Geduld immer weder mit gewissenhafter Hingabe in allen Lebenslagen und -altern.
    Und manchmal belohnt es die Tugendhaften sogar. 🙂

    Danke für Deinen formidablen Artikel.
    Tolle starke Bilder.
    Mag ich.

    Lieben Gruß,

    Stefanie

  5. Ungeduld kenn’ ich natürlich auch, aber Geduld so “wegwerfen”? Nee, die ist schon phasenweise ebenfalls von Nöten.
    Warten auf die Chance…das ist wie Vorfreude zu Weihnachten …wenn sie dann eingetreten ist: Glücksmoment und wenn der abklingt – kann man doch herrlich und beruhigt vom laaaangen Warten erzählen:

    Weißt du noch, als wir davon sprachen, niemals werden wir diese und jene Platte besitzen, dieses und jenes Buch selber lesen können – und dann: Fiel die Mauer!

    Sag Bukowski, dass ich komme!

    Ich wollte das Beitragsbild oben noch loben. Dolles Ding!

    • Vielleicht wäre die Mauer früher gefallen, wenn ihr ungeduldiger gewesen wärt? Das ist ne fiese Frage, auf die die Historienschreibung nie eine Antwort finden wird.

      • Doch: Die Antwort gibt es bereits, aber die allgemeine Geschichtsvergessenheit der Medien und Massen ließ sie im Volksbewusstsein verschwinden. Die ostdeutschen Montagsdemos und der ungarische Mut, den Zaun durchzuschneiden konnten erst erfolgen, als begriffen wurde, dass es Gorby ernst meint mit dem Spruch: “Unsere Brudervölker sollen ihre Probleme selber klären” und “bauen wir das Haus Europa”. (= Sowj.Panzer werden nicht rollen,
        wie 1953(Berlin)1956(Budapest) und 1968(Prag)
        Solange die Spielregeln des 17. Juni 53 galten, wäre offener Widerstand nicht Courage, sondern Dummheit gewesen.
        Gorbys neue Richtung ließ die SED verstummen. Jetzt waren sie am Ende mit ihrem Gebetsmühlenlatein. Jetzt hätten sie alleine entscheiden müssen, ob sie aufs Volk schiessen oder nicht.

        • Hm, man könnte diese Ansicht rückwärtsgerichtet prolongieren. Die Sowjetunion hatte sich totgerüstet, ihr wirtschaftlicher Niedergang war nicht mehr aufzuhalten. Gorbatschow war nur die durch die Tode seiner beiden Vorgänger glückliche ins Amt gespülte realpolitisch denkende Instanz, die begriff, das das Stündlein des Sowjetimperiums schon längst geschlagen hat. Das atomare Patt, die wirtschaftliche Potenz des Kapitalismus, die marode Militärmaschinerie des Ostblocks, ich bitte Sie, das waren die eigentlichen Urheber des Falls der Mauer. Gorbatschov hat lediglich dafür sorgen können, dass der weidwund geschossene russische Bär nicht mehr um sich biss.

          • Na klar doch. Eulen nach Athen. Meine Antwort war die Kurzfassung. Trotz der Wirtschaftsmisere bleibt es aber Gorbys Verdienst, eben nicht “bis zum bittern Ende” um sich schießen zu wollen.

Hinterlasse mir gerne einen Kommentar

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Translate »

Discover more from A Readmill of my mind

Subscribe now to keep reading and get access to the full archive.

Continue reading