Seine Frau dreht mir den Rücken zu. Sie spricht mit der Hinterseite ihres Körpers. Ihre Schulter sind gespannt zum Hals hochgezogen. Ihr Kopf ist halb von ihm weggedreht. Ihre Beine zucken rhythmisch. Ihre Füße, deren Riste erhoben sind, ihre Zehenspitzen, verkrampft. Er selbst ist ganz der harte, kantige Blick.  Dreitagebart, Augen, die von der Gier nach Eroberungen sprechen. Nicht die Art von Eroberung, die ihm Frau um Frau in die Hände seiner Begierde spült, eher eine grundsätzliche Besessenheit, seine Macht, sein Haus, seine Frau, sein Kind. Und alle in den Käfig seiner Überzeugungen gesperrt. Alles im Blick, alles im Griff. Je lauter Stimme und Gestik, desto verstohlener ihre Gesten der Angst. In der Öffentlichkeit sinken die Aktien ihres Widerspruchs. Was ihm an situativem Gefühl abgeht, hindert sie an der Artikulation eindeutiger Einrede. Eine Muschel, in die sie sich zurückzieht, dort das im Rauschen geshredderte Aufbegehren. Die Menschen in ihrer Nachbarschaft lugen verstohlen zu ihrem Tisch und zeigen sich irritiert über seine unnachgiebige monologische Lautstärke, die sich den Anschein gerechtfertigter Entrüstung gibt. Und es macht sich das massenpsychologische Phänomen auf den Weg, diese unangenehm berührte Betroffenheit, die so häufig an der Grenze zu den privaten Angelegenheiten anderer halt macht. Frauendominierendes Verhalten führt nicht zu legitimer Übergriffigkeit gegen den Aggressor. Man wälzt die Moral nach innen und formuliert in Richtung des eigenen Gewissens ein deftiges “Arschloch”. Man schlägt die Hände der Empörung nur innerlich über dem Kopf zusammen, öffnet ein Buch, um die Stille zu übertönen, die aufkommt, wenn alle Augen sich schließen und sich am Wegschauen laben. Schnell zerspringt das Öffentliche in die Scherben von Nischen verschämter Privatheit.
Der Mann bedeckt mit seinen groben Händen das winzige Gesicht seiner Tochter. Sie brabbelt entzückt, versucht seine Hand zu entfernen. Jahre später wird sie sich fragen, warum ihre Mutter nervös zu den Blumen sprach und sich in den eigenen Armen wiegte, schaukelnd und ohne Stillstand.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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14 Comments

  1. Kaputt machen geht schnell. Da reicht oft eine Geste der Einschüchterung. Scherben weg fegen geht nicht. Es kommen dann immer neue. Reparieren ist angesagt. Das ist schwer, man will das nicht. Ist aber notwendig.

    Danke für diesen Text und liebe Grüße, mick.

    • Zivilcourage, ich glaube sie ist überfällig. An die Wurzeln der Diskriminierung heranzureichen ist die permanente Arbeit, die vor allem wir Männer auszuüben haben. So wie der in der Öffentlichkeit praktizierte Übergriff ein Fanal setzt, wären die Einmischungen Fanale, die in der Summe kollektives Bewußtsein herzustellen in der Lage wären. Wir müssen damit beginnen.

      Liebe Grüße und Danke für deinen Kommentar

      Achim

  2. Mit feinem Gespür für die Not beobachtet und formuliert. Es steht zu befürchten, dass auch die Kleine bald nicht mehr lachen wird und sich irgendwann noch ganz andere Fragen stellen wird. Traurig.

    • Diese Szene erlebte ich in meinem Lieblingscafe hier in Freiburg. Das Resultat davon sind die obigen Gedanken. EIn besseres Resultat wäre gewesen, mich weniger um die, und das ist das eigentlich Perverse, Literalität dieser Szene zu kümmern, als aufzustehen und den Macker zur Rede zu stellen. Ich arbeite daran.

      Gruß

      Achim

  3. Die Frau erweckt nicht den Eindruck, als ob sie kurz davor wäre, ihre Koffer zu packen, deshalb meine Frage, was Du kurzfristig erreichen würdest. Du hättest zwar Zivilcourage bewiesen, sie aber würde es, wohlgemerkt kurzfristig betrachtet, zunächst einmal ausbaden müssen. Das wollte ich nur mal zu bedenken geben. Eine Situation, die einiges an Fingerspitzengefühl erfordert.

    • Ein Mann schlug seine Freundin/Frau auf offener Straße. Ich stellte ihn zur Rede. Sie verbat sich meine Einmischung. Eine aberwitzige Situation der Befindlichkeiten. Privatsache? Als ich damals über Ecken dachte, kam ich zu dem Schluß, dass ihre Reaktion vielleicht dafür sorgte, sich Luft zu verschaffen, auch und gerade in den darauf folgenden Szenerien des Privaten. Das Opfer erst zu befragen, ob meine Einlassungen erwünscht sind?

      Achim

  4. Natürlich nicht. In dem Fall hat Dir die Situation ja keine Wahl gelassen. Im ersteren würde ich persönlich es aber vorziehen, wenn möglich, die Frau selber anzusprechen.

  5. Zivilcourage … ja … aber es ist nicht einfach sich einer solchen Situation zu stellen. Ich hab das schon gemacht und dann sofort den Unmut von Beiden auf mich gezogen. Was mich auch erschütterte.
    Nun gut, einmal war es wirklich hilfreich und genau deswegen, weil ich es nie weiß, ob es nicht eben doch etwas bewirkt, mische ich mich manchmal ein.
    Du sagst aber etwas für mich ganz Wertvolles, dass nämlich insbesondere auch die Männer Stellung beziehen sollten und gut ist … es gibt sie!

    herzliche Grüße
    Ulli

  6. Der Text macht beim Lesen ganz beklommen.
    Wie der Mann die Frau, laut monologisch schwadronierend, regelrecht plattwalzt.
    Schrecklich!
    Ich halte es mit Pagophila: bei direkter und unmittelbarer Gewalt muss man eingreifen.
    Wenn zwei Erwachsene sich diese Hölle bereiten, dann kann man nur daneben stehen und hoffen.
    Starker Text!

  7. Bei Gewalt muss eingreifen. Auch wenn es daneben geht. Es ist wie bei der Reanimation: Obwohl man keine Ahnung hat, muss man etwas dafür tun, dass der Mitmensch überlebt. Nicht Zustimmung oder Angst festigen die totalitäre Gewalt sondern das Wegschauen.

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