Alles ist grün

Grün ist die Heide. So grün war mein Tal. Der grüne Heinrich. Grünkernsuppe. Alles ist grün. Grünspan. Anselm Grün. Das grüne Buch. Arno Grün. Max von der Grün. Da habe ich mir etwas was vorgenommen, liebe Gemeinde. Vor einiger Zeit musste ich mir eingestehen, dass ich auf beiden Augen grünblind bin. Natürlich kann ich die Farbenpracht des Natürlichen in Baumwuchs und Strauch, in Blume und Pflanze,  in der Gesamtheit alles Vegetativen benennen und die Grundfarben bei ihren differenzierenden Namen packen. Zur Not lasse ich das Sonnenlicht durchs Prisma brechen und habe den wissenschaftlichen Beweis unterschiedlicher Wellenlängen der farblichen Anteile von weißem Licht, sozusagen Schwarz auf Weiß. Wenn es jedoch um farbliche Nuancen geht, bin ich mit meinem Farblatein am Ende. Dieser Tatbestand ist der erste schwere Brocken, der mich plagt. Der zweite, damit einhergehende, besteht in der völligen Abwesenheit eines Talents zur Visualisierung allermöglicher vegetativer Auswüchse und der damit einherschreitenden Nötigung zu ihrer Arten- , Unterarten, und Familienbestimmung. Ich mache mir da nichts vor. Eine “Herbstzeitlose” hielt ich bis vor wenigen Wochen noch für ein leichtes Mädchen mit halterlosen Strümpfen, das sich im Herbst aufmacht, ihrem Gewerbe nachzugehen. Den “Einjährigen Knäuel” für den Knust des Wollknäuels, der meiner Großmama, als Beigabe zum Hinüberwechseln ins Schattenreich, mit ins Grab gelegt wurde. Die “Sumpfdotterblume” für eine niedliche, aber zutreffende Bezeichnung für eine zähnenhaarbewehrte Xanthippe.  Das “Echte Labkraut” hatte ich, sprachverirrt wie ich nun mal bin, mit einer nordischen Delikatesse aus dem Hamburger Großraum verwechselt. Ihr seht, wo der casus knacksus in seiner vollsten Blüte im Kraut liegt.

Meine großinquisitorische Frage lautet seitdem: “Was blüht denn da?” Ich würde um dieses mich ernüchternde Thema nicht viel Wesen machen, wenn es, ja, wenn es da nicht etwas gäbe, was mich vom selbsterrichteten Sockel des Allesverstehers von Buch und Büchlein, Roman und philosophischer Abhandlung stoßen würde. Mir wurde bewußt, dass meine inneren Vorstellungswelten beim Lesen eines Romans nur hahnebüchene, verwelkte und dorrende Welten sind. Als hätte ich mit einem Monokel auf die wunderbaren vegetativen Ausgestaltungen der fiktiven Universen geschaut. Und den mannigfaltigen Beschrieben der Flora nicht mit der Kennerhaltung eines, sagen wir, Opernfachmanns, der sich der Bühne mit dem Doppelokular eines Opernglases nähert. Meiner Vorstellungswelt fehlt also jeder Bezug zur literarischen Schönheit und Erbaulichkeit von quirlblättrigen Weißwurzen, echten Salomonssiegeln, Ranken-Platterbsen und Kicher-Tranganten. Ich stand also vor einer Wahl. Mein vormaliges Lesen als etwas  sinnlicher Einschränkungen Unterworfenes zu disqualifizieren, oder aber nächsthin meine interpretatorischen Geschicke durch den Zuwachs an Kennerschaft von Flora und Fauna, Pilz und Gras, Farn und Baum zu adeln. Meiner jüngsten Schwester sei es geschuldet, dass ich mich von nun an durch die Herrlichkeit von Bestimmungsbüchern quälen werde, bevor ich zum nächsten belletristischen Schmöker greife. (Finger hinterm Rücken kreuzt).

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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10 Comments

  1. Herrlich Achim!
    Und ich kann das so gut nachempfinden, nur leider nicht so wunderbar beschreiben wie Du! Es hat bei mir 49 Jahre gedauert, bis es mir Spaß gemacht hat, in meinem eigenen Garten zu pflanzen, zu schneiden, Unkraut zu rupfen und was man noch so alles machen muß… Und seitdem wir einen Strandkorb haben macht das Sitzen im Garten gleich noch mal so viel Spaß! Und einige Pflanzennamen weiß ich jetzt auch schon… 🙂
    Liebe Grüße aus dem endlich sonnigen Winsen
    Heike

  2. Hallo Heike,

    gerade heute saß ich mit der Mutter meines Sohnes in meinem Lieblingscafe in Freiburg und wir phantasierten uns Dinge her, die wir in der Rentenzeit tun wollen. Sie ist stolze Pächterin eines kleinen, feinen Schrebergärtleins bei mir um die Ecke. Und sie schlug vor, dass ich in Zeiten langweiliger, langer Rententage durchaus zu Spaten, Heckenschere und Gießeimer greifen sollte, um ihrem Garten den letzten Schliff zu verpassen. Ich nahm von dieser Vorstellung höflich aber entschieden Abstand. Ich will die grünen Dinge nur beim Namen nennen können. Wie sie wachsen und warum sie besonders trefflich wachsen, soll allein ihr Geheimnis bleiben 🙂 Aber verstehen kann ich dich schon. Und: In einem Strandkorb sitzen, in ihrem Garten, das kann ich mir wiederum sehr gut vorstellen. Lesend, rauchend und Bestimmungsbücher studierend.

    Liebe Grüße aus Freiburg

    Achim

  3. Wie gerne ich dich immer wieder lese, lieber Achim, selbst wenn es um eine Unbill des Lebens geht- ich kann mir das NIE vorstellen … ein Freund von mir – grün-rot-blind hat mir es schon oft versucht zu erklären, wieso er dann trotzdem weiß, was rot und was grün ist, aber eben die Nuancen … die machen ihm auch zu schaffen … die Namen, das ist widerum etwas ganz anderes … ich gehöre nun zu denen, die schon früh begann mit dem berühmten: was blüht denn da und ja, ich kenne schon so einiges und ja, es hilft der Vorstellungswelt beim lesen ungemein, sofort steht das Labkraut am Waldesrand und die Gerste hoch, die Eiche knorrig am Rande des senkrecht wachsenden Buchenwaldes … herrje, ja, es macht Freude und all das ist gerade ein bisschen inspiriert von der “Erfindung des Lebens” von Herrn Ortheil … wie ich mich freue, gleich werde ich weiterlesen 🙂
    dir viel Freude beim Flora- und Faunastudium
    herzliche Grüße vom Berg ins Tal

    • Liebe Ulli,

      zu Hanns Josef Ortheil ein paar Reminiszenzen: Ich studierte in den späten 70er und frühen 80er Jahren in Mainz u.a. Literaturwissenschaft. Ortheil war zu dieser Zeit bereits Dr. Phil am germanistischen Institut und gab Seminare, die einige meiner Kommilitonen besuchten. Ich saß in keinem dieser Seminare, habe ihn aber des öfteren in unserer Stammkneipe sitzen sehen, umgeben jeweils von einer Schar seiner StudentInnen. Und zu meiner Schande: ich habe noch kein Buch von ihm gelesen. Keine rechte Ahnung warum. Mal sehen, vielleicht passiert es ja noch.

      Liebe Grüße aus dem sonnigen Tal hinauf auf den Berg

      Achim

      • es ist auch mein erstes Buch von ihm. Oft habe ich schon von und über ihn gelesen und gehört, aber es kam nie dazu. Letztens hörte ich ihn eine Stunde lang im Radio übers spazieren gehen mit HörerInnen sprechen und das war dann wohl der Auslöser? Beim lesen ist es mir fast, als säße jemand an meiner Bettkante und würde mir das alles gerade erzählen, ja erzählen kann er!
        Vielleicht war er dir ja einfach nicht sympathisch? 😉
        lieber Achim, hab einen feinen Sommertag
        herzliche Grüße
        Ulli

  4. Lieber Achim, mit diesem schoenen Text hast Du bei mir ja gleich zwei Nerven getroffen. Mein Mann ist auch rot-gruen-blind. Er kann zwar die Ampel-Farben an der Strasse erkennen, aber wenn wir (was schon einige Jahre her ist) nachts auf dem Meer segeln, muss ich aufbleiben und die Positionslampen des Schiffsverkehrs “uebersetzen” ;-). Und was das Gaertnern angeht, nunja, ich habe auch erst vor kurzem begonnen, mich damit auseinanderzusetzen, als wir naemlich vor zwei Jahren in unser Haeuschen mit Garten zogen, Liebe Gruesse aus dem endlich sommerlichen London, Peggy

  5. Liebe Peggy,

    danke für deinen Kommentar. Du weißt schon, daß du mir damit wieder Fernweh auf England vermittelst 🙂 Wie heißt es so schön: Jeder trage des anderen Last. Was in deinem Fall die Mithilfe beim Schippern auf dem Meer bedeutet. Ein Garten wäre natürlich super, vor allem später in der Rente, solange sich jemand anderes darum kümmert und ich nur seine “Früchte” genießen darf *g

    Liebe Grüße aus dem sonnigen Freiburg

    Achim

  6. Lieber Bruder,
    das mit den Fingern hinterm Rücken kreuzen habe ich geflissentlich überlesen….
    Ich bin ganz hingerissen von der Vorstellung, dass du demnächst in ein Bestimmungsbüchlein vertiefst auf deinem Balkon sitzt oder durch allerlei Gärten wandelst. Du wirst sehen, das hat etwas zutiefst beruhigendes!! Ach, und was hat England da zu bieten….herrlich!
    Übrigens, ich bin seinerzeit am gemeinen drüsigen Springkraut gescheitert und hielt es für etwas arg Gehässiges!

    • Liebste Schwester,

      die zwei Bestimmungsbüchlein waren ja ein Geschenkwunsch zu Weihnachten, oder war es der Geburtstag? Noch habe ich es nicht über mich gebracht, mit ihnen die Flora zu erforschen, aber viel habe ich bereits daraus gelernt 🙂 Aber bei meiner nächsten Reise auf die Insel werde ich sie dabeihaben, nur, um vielleicht erkennen zu müssen, dass England so gar verschieden ist auch in Bereichen der Blumen, Bäume und sonstiger Grwächse.

      Liebe Grüße, auch an den Ehemann

      Achim

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