Sonntag – Gedeck

Das da ist das existentielle Grundrauschen meines Lebens. Die Butterstullen repräsentieren die Akte der Selbstbelohnung, sofern das Pensum der Lektüre abgearbeitet und  die Notizen unter Dach und Fach gebracht. Die Butterstücke sind Zeitentschleuniger. Sie werden kalt serviert, es streckt sich die Zeit, bis sie streichwarm sind und zur Entlohnung tauglich. Vielleicht kann man erkennen, dass die Anzahl der gegenwärtigen Bücher auf diesem Tisch ein Grundgefühl meines Lebens spiegeln: Nie alles zu seiner Zeit und immer alles zugleich. Ein Schwamm, der erst mit sich im Reinen ist, bis alle Wasser des Wissens aufgesaugt sind. Für den Moment. Strenge Enthierarchisierung. Alles hat seinen synchronen Platz. Einzige Ausnahme: Der Kitsch, der in der Mühle meiner Vorauswahl geshreddert wird. Der erbarmungslose Kanon (und das ist das Vorrecht des Alters und des mitleidlosen Blicks) ist die Zäsur, die sich ins fette Fleisch der ablaufenden Zeit verbeißt und die sorgelosen Augenblicke juveniler Lesemutproben auf das Schafott der Ungeduld führt. Einer Ungeduld, die arrogant und militant daherkommt und den Tod bedeutet für allerlei Gespräche, die man nicht mehr führen will, weil sie belanglos sind.

Der Verdacht kommt auf, dass das Lesen einsam macht. Je mehr sprachliche Verwicklungen sich in den Windungen der Erinnerung winden, desto sprachloser und untauglicher fühlt man sich in der dialogischen Struktur eines Alltagsgespräches. Man findet die spontanen Worte nicht mehr, da diese vom Konstrukt der Worte und Sätze endloser Lektüre überlagert sind, von Worten, die man auf Vorrat hortete und auf den Verdacht hin, dass sie einmal das Gewichtige aussagen könnten über das überhöhte Denken und über das universelle Gefühl, woraus man zu bestehen glaubt. All diese Wortpreziosen und die ganze stilisierte Existenz und die vom Pseudogöttlichen abstammende Fähigkeit zur Kommunikation. Auf Sand gebaut. Nicht mehr vermittelbar. Das Schweigen ist der Restposten der Versteigerung des Mitmenschlichen. Im Schweigen breitet sich das Scheitern aus, immer dann, wenn du gefragt wirst, wie es dir ergeht, was du so denkst und welches Gefühl du beim Köpfen eines Frühstückei hattest. Darüber kann ich nicht reden. Je mehr Worte du verschlingst, desto zahlreicher die Gründe, mit ihnen im Schweigen unterzugehen. Irgendwohin muss ich ja gehen.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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19 Comments

  1. Lieber Achim,
    das sind doch die Augenblicke, in denen sich der Leser oder Betroffene “dumm” wünscht. Wie einfach ist doch alles, wenn es auf die Grundbedürfnisse herunter gebrochen wird.
    Mir fällt dabei gleich das Zitat von Oscar Wilde ein, dass Dina in ihrem Blog schrieb:
    “Irony is wasted on the stupid.” – Oscar Wilde
    Einen schönen Tag und liebe Grüße von Susanne

    • Liebe Susanne,

      mir ging es darum festzuhalten, wie literarische Schriftsprache allmählich den Auftritt meiner gesprochenen Sprache in Alltagsgesprächen überlagert und überformt. Die Spontaneität, der Fluß meines Sprechens, dessen Sinn ja das Ausüben kommunikativer Akte ist, beide werden ausgebremst, indem ich mich immer häufiger bei der Suche nach dem “besten” Wort, dem verständlichsten und elegantesten Satz ertappe. Meine “Parole” verschriftlicht sich zusehends. Und meine Erfahrungen mit Gesprächspartnern deuten darauf hin, dass ich mir dadurch tatsächlich ein Kommunikationsproblem einhandele. Zu schwer, zu kopflastig, zu gestochen, zu intellektuell etcpp. Das sind einige Urteile, denen ich mich zu stellen habe. Irgendwie auch der Verlust des munteren Drauflosplapperns, der mich nachdenklich stimmt.

      Liebe Grüße

      Achim

      • Das kann ich gut verstehen, Achim.
        Ich bin eine Plapperin, das ist nicht immer gut, denn die Gedanken, die ich beim Plappern von mir gebe sind auch oft solche, die ich lieber für mich behalten hätte oder die einfach noch nicht fertig durchdacht waren und dann ärgere ich mich sehr.
        Grüße von Susanne

  2. Lieber Achim,
    für mich kann ich sagen, dass mich keineswegs das Lesen einsamer macht. Durch Lesen werde ich mit Menschlichem und Allzumenschlichem konfrontiert, das ich sonst meiden würde. Ich werde unvoreingenommener, Kontakte auch mit bizarreren Menschen zu machen, die ich sonst nie angesprochen hätte. Und dass ich feine Wendungen übernehme, die ich aus diesem und jenem Buch habe, sehe ich auch als positiv. Einigen Autoren ist es gegeben, manche Sachverhalte so auf den Punkt genau auszudrücken, dass ich es nicht besser könnte. Das ist für mich keine Enteignung meiner Bedürfnisse, sondern eher eine Erweiterung meines Denkens. Manches, was ich sagen will, kann ich durch die Worte anderer besser vermitteln. Darauf beruht doch die Faszination der Zitate.
    Ganz liebe Grüße vom kleinen Dorf am großen Meer
    Klausbernd

    • Lieber Klausbernd,

      die Lektüre fremden Gedankenguts empfinde ich nicht als Enteignung meiner Bedürfnisse, im Gegenteil, sie ist mein eigentliches geistiges Grundbedürfnis. Und natürlich lese ich, um die Horizonte meines Denkens und meines Empfindens zu weiten. Und ich schmücke mich auch sehr gerne mit Zitaten, keine Frage. gehe mit ihnen gerne hausieren. Sie sind für mich der wirkliche Lohn der Brotarbeit der Lektüre, auch wenn ich sie inzwischen nicht mehr einfach aus dem Ärmel schütteln kann, das Alter 🙂 Wie ich schon Susanne oben antwortete, geht es mir im Post um einen schleichenden Prozeß, dem die Wahl meiner in Alltagsgesprächen verwendeten Worte und Sätze unterworfen ist. Die in meinem Kopf angestrengt vorgenommene Vorauswahl von Worten und Sätzen hemmt den Redefluss, baut Hindernisse hinsichtlich der Verständlichkeit auf und legt viel zu großen Wert auf ein Sprechen, das den Ansprüchen “gestochener” Schriftsprache” genügen soll. Ich habe diesen an mir konstatierten Umstand genommen, um daraus die Frage abzuleiten, ob mein Lesen einsam macht, weil es diese Wirkungen erzeugt. Obwohl ich das “man” wählte, handelt es sich bei den Gedanken doch nur um mich.

      Liebe Grüße aus dem winterlichen Freiburg nach Norfolk.

      Achim

      • Lieber Achim,
        ach, weißt du, da sage ich mal platt, du setzt dich viel zu sehr unter Druck. Immerhin gibt es doch den Unterschied zwischen geschriebener und gesprochener Sprache. Die Fehler, Unexaktheiten und Ungeschicklichkeiten im sprachlichen Ausdruck lassen doch die persönliche Sprache zu etwas Individuellem werden und machen menschlich und lässig.
        Also, don`t worry, wer druckreif redet, schafft Distanz.
        Ganz liebe Grüße aus dem frühlingshaften Cley, wo die ersten Bäume blühen
        Dina, Klausbernd und unsere Buchfeen Siri & Selma, die ständig plaudern und selbst schreiben, “wie ihnen der Schnabel gewachsen ist” 😉

        • Lieber Klausbernd,

          genau, nicht druckreif reden und so wie der Schnabel gewachsen ist. Das möchte ich mir bewahren. Also back to the roots und weg mit der Distanz. Genau das ist der Subtext meines Posts.

          Liebe Grüße, auch an DIna und die munteren Feen.

          Achim

  3. Lieber Achim, Lesen ist zwar eine Taetigkeit, die man fuer gewoehnlich allein macht, aber wir verbringen als Familie viel Zeit beim gemeinsamen einsamen Lesen. Jeder taucht fuer sich fuer eine Weile ab und hin und wieder tauchen wir auf, um uns ueber Aussprueche oder Episoden zu unterhalten. Wer viel liest, hat doch auch viel Gespraechsstoff. Und ob Du es glaubst oder nicht, ich habe aufgrund von Unterhaltungen ueber Buecher eine Freundin kennengelernt, die heute zu meinen engsten gehoert. Liebe Gruesse, Peggy

    • Liebe Peggy,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Die Neigung meines Sprechens zur Annäherung an eine gestanzte Form von “Schriftsprache” ist das Übel, was ich beschreiben wollte. Es ist kein Witz wenn ich sage, dass nach der Lektüre von Shakespeares Sonetten seine jambischen Pentameter den Duktus und Rhythmus meiner gesprochenen Sprache am Wickel hatten 🙂 Und by the way, ich genieße eure Anteilnahme und eure “virtuelle” Freundschaft in der Verfolgung unseres gemeinsamen schönen Hobbys sehr.

      Liebe Grüße

      Achim

  4. Lieber Achim,

    …Es ist kein Witz wenn ich sage, dass nach der Lektüre von Shakespeares Sonetten seine jambischen Pentameter den Duktus und Rhythmus meiner gesprochenen Sprache am Wickel hatten … 🙂 🙂 Jaja, du sorgst immer Hirngymnastik für mich, das liebe ich doch sehr! 🙂

    Also, ich habe mir das Bild sehr lange und eingehend betrachtet. Der erste Gedanke; das sieht wie Selbstkasteiung aus. Zweite Gedanke; das sieht fast wie der Tisch bei uns aus. 🙂 Mit ein paar Ausnahmen. Wenn wir es uns so richtig gemütlich machen.
    Habe einen feinen Tag!
    Liebe Grüße zu dir aus Norfolk, gerade total verregnet…
    Dina

  5. lieber Achim,

    was mich mein Leben lang fasziniert, ist der Umgang mit Worten auf den unterschiedlichsten Ebenen, eine Art Suche nach dem richtigen Satz, dem richtigen Wort, um der/dem anderen so nah wie möglich/so verständlich wie möglich zu sein.

    Beim Lesen hege ich Hochachtung vor so manch klugem Satz. Je länger ich (Autodidaktin) die Sprache, das Wort erforsche, umso schwieriger erscheint mir in bestimmten Situationen die wahre Rede und dann kann auch ich manchmal ganz sprachlos sein. Genau hier würde ich auch sagen, dass lesen mich einsamer macht.

    Aber ich habe ja auch noch einige andere Gesichter und eins ist die Plaudertante und die will ich mir einfach nicht nehmen lassen, sie öffnet Türen 😉

    dein Bild gefällt mir sehr, ein Stilles Leben könnte man meinen, wäre da nicht so viel unterschiedliches Leben …

    herzlich grüßt dich Frau Blau

  6. Liebe Ulli,

    danke für deinen Kommentar. Du beschreibst sehr schön, um was es mir in meinem Beitrag auch ging. Wenn es denn stimmt, dass der Verlust von Sprache immer dem Verlust des Selbst vorausgeht, da Sprache uns immer schon voraus ist, unser Selbst, oder das, was wir dafür halten, durch Sprache erst bestimmt wird, dann ist das schon ein Schlag ins Kontor des Empfindens persönlicher Identität. Dann muss man tatsächlich davon ausgehen, dass wir ohne Sprache nichts weiter sind. Dieser Gedanke lässt mich ratlos zurück.

    Liebe Grüße

    Achim

    • -m- lieber Achim, wir haben ja mehrere Sprachen! Das ist die gute Nachricht … wenn die Worte versiegen, dann gibt es Musik oder Bilder, es gibt das Spüren, das oft genug keine rechten Worte findet, aber sich in Klang, Form und Bild ausdrückt. Wir haben die Gesten, die Körpersprache, sodass ich denke, dass das Selbst mehr als Worte, als Gedanken ist.
      Letztens machte ich eine interessante Erfahrung mit meinen Fotomontagen. Zuerst war das Bild, es entstand, bestimmt war auch ein Gefühl, ein Gedanke dabei, aber an daran kann ich mich nicht erinnern, auch das Tagebuch gab keinen Aufschluss. Nach ca. 2 Monaten webten sich Worte und das Bild fiel mir ein, es passte und ich dachte, dass vielleicht manchmal meine Bilder mehr von mir wissen, als ich selbst …
      es ist etwas Verzwacktes mit dem Selbst und dem Ich … jaha 😉

      Wenn du aber mit Sprache schon all das mit einbezogen hast, oder anders gesagt, wenn all das, aus welchem grund auch immer noch, nicht mehr zur Verfügung steht, dann macht es auch mich ratlos, dann schaue ich in den Schlund der Leerheit, die mich nicht beflügelt.

      herzliche Grüße

      Ulli

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