Privatheit und andere Untugenden

Wohnungen sind keine Himmel. Aber wir schmücken sie wie Himmel, die uns den Atem rauben. Wie Himmel, die uns am Morgen begrüßen und am Abend Abschied von uns nehmen. Wir sind nicht gern allein. Die Privatheit ist eine ausgestorbene Spezies, über die sich Archäologen beugen, um die Befunde dessen zu beäugen und zu katalogisieren, was unter dem Begehren der Mitteilsamkeit schichtentief verborgen liegt. Privatheit heute besitzt musealen Charakter. Man kann sie bestaunen und sollte es jemand über sich bringen sie zu bewahren, der kämpft mit dem Himmel der Ausschweifungen. Kämpft mit einem Himmel, der keine Grenzen kennt. Der keine Grenze des Privatimen respektiert, keine Zäune der Selbstgenügsamkeit. Der Himmel ist Narziss und wir sind der Spiegel, in dem er sich genüsslich betrachtet, in den er versinkt. Ying und Yang. Dante und Beatrice, Petrarca und Laura, W.B. Yeats und Maud Gonne. Die Liste der selig und unselig miteinander Verknüpften ist länger als die Himmelsleiter. Wir sind nicht gern allein. Den einsamen Wolf des Privaten gibt es nicht. Was wir tun und lassen ist die gleiche Münze der Liebe, auch wenn auf ihrer Rückseite die Ablehnung, die Verweigerung oder der Hass ihre Gesichter zeigen. Wer diesen Himmel nicht kennt, der trennte sich schon immer, sonderte und beraubte sich. Der besteht für sich ohne Echo, ohne Spur, die er ins Leben der Anderen legt. Er ist nicht gern allein. Heaven knows no privacy.

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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14 Comments

  1. Lieber Achim,

    wunderbare Fotos und ein wunderbarer Text hierzu …
    Privatheit … klingt nach, ich sehe all die Kästchen, die uns begrenzen sollen, die in moderner Kunst gerne gezogen werden, hier ragt mal ein Bein heraus, dort ein Arm … ich mag offene Türen und ein herzliches Willkommen, das im Herzen wohnt und darum nicht auf meiner Fußmatte stehen muss. Manchmal sehne ich mich nach Stammesleben zurück, auch wenn ich es sicherlich etwas romantisiere …

    liebe Grüße
    Ulli

    • Liebe Ulli,

      ich habe mir diesen Text gewissermaßen abgerungen, da ich mich selbst für einen tendenziell zurückgezogen lebenden Menschen halte. Ich empfinde mich als eigenbrötlerisch. Aber gerade in den Momenten selbst- und weltvergessener Zufriedenheit überkommt mich die Lust an der Teilhabe am Leben und Denken der Anderen. Eine Art Weltumarmung, die mir beim Lesen, in Gesprächen, im Schreiben widerfährt. Insofern ist die Abgeschiedenheit, in der ich manchmal lebe, nur ein kurzes Innehalten auf einem Weg, der wieder in den Dialog und die schönen Auseinandersetzungen führt.

      Liebe Grüße

      Achim

  2. Lieber Achim, ich mag den Satz darüber, dass Privatheit musealen Charakter besitzt. Ich würde sogar noch weiter gehen und das Wörtchen “heute” weglassen. Denn ich glaube, seit die Leute begonnen haben, nicht nur rein praktische Gegenstände zu Hause aufzubewahren, sondern auch hübsche Dinge, Erinnerungen, Dinge, die ihnen des Aufhebens wert schienen, besitzt ein privater Haushalt den Charakter eines Museums, in dem sich Vorlieben ihrer Besitzer zeigen. Vor einiger Zeit habe ich dazu (wieder einmal) etwas gebloggt, falls du schauen möchtest: http://phileablog.wordpress.com/2012/11/13/erinnerungen-und-geheimnisse/
    Liebe Grüße
    Petra

    • Hallo Petra,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Mit dem “musealen Charakter der Privatheit” meinte ich eigentlich ihren Anachronismus in heutiger Zeit. Das Individuum hat sich gefälligst publik zu machen, wenn es wahrgenommen werden will und gewürdigt. Das Internet und andere Medien geben ihm diese Möglichkeit, Darin liegt etwas Emanzipatorisches, auch wenn Kritiker zurecht monieren, dass Öffentlichkeit nicht vor Trivialitäten und Banalitäten des persönlichen Auftritts in den medialen Welten schützt. Dazu zähle ich auch meine eigenen. Wenn ich sage, Privatheit ist eine Untugend, so verstehe ich damit, dass sie eine verderbliche Komponente auslebt, wenn sie sich selbstgerecht abschottet, misantroph daherkommt oder sich, allen psychohygienischen Einsichten zum Trotz, verbarikadiert. Sie darf den Dialog, den Austausch, die Teilhabe und die Gemeinschaftlichkeit nicht ohne Not unterdrücken.

      Liebe Grüße

      Achim

      • Oh, dann passte mein Kommentar ja nicht so gut. Dafür ein Zitat von Alberto Manguel: “Wir lesen, was wir lesen wollen, und nicht das, was der Autor geschrieben hat.” und an anderer Stelle, aber ebenfalls im Tagebuch eines Lesers: “Es ist seltsam, wie Leser ihren eigenen Text herstellen, indem sie auf bestimmte Wörter reagieren …”
        Liebe Grüße
        Petra

  3. “The closing of a door can bring blessed privacy and comfort
    – the opening, terror.
    Conversely, the closing of a door can be a sad and final thing
    – the opening a wonderfully joyous moment.”
    Andy Rooney

    In diesem SInne,
    ein schönes Wochenende
    Dina

    P.S.
    Wollte dich auf diesen Schriftsteller and wandering Man in Norwich aufmerksam machen…

    eastofelveden.wordpress.com

    • Liebe Hanne,

      vielen Dank für diese “Lebensweisheit” Andy Rooney’s . Es drückt sehr schön die Dialektik von Nähe und Distanz aus. Privates und Öffentliches sind zwei Seiten der gleichen Medaille unserer Existenz. Verzichtet man auf eine Seite, drängt sich die andere umso stärker ins Bewusstsein.
      Die Webseite, die du mir empfohlen hast, habe ich besucht. Sie beinhaltet schönes Bildmaterial zu Norfolk, und der Wunsch es endlich kennenzulernen, nimmt an Fahrt auf 🙂

      Liebe Grüße

      Achim

  4. In einer Welt, in der Privatheit nurmehr musealen Charackter hat, darin möchte ich nicht Leben. Ich teile gerne mit anderen, ich tausche mich aus, weil ich als Individuum darauf angewiesen bin meine Subjektivität mit der anderer zu vergleichen. Mein Kollege kann mir nur ‘seine’ Kamera borgen weil sie ihm gehört. Ich kann Dir ‘meine’ Zeit schenken und ‘meine’ Gedanken widmen, wenn sie mein Eigentum sind. Ansonsten schmücke ich mich mit fremden Federn. Wenn Privatheit als Untugend deklariert wird, dann läuft nach meinem Empfinden etwas ziemlich schief.

    • Hallo Mick,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Mir war bereits beim Schreiben des Textes bewusst, dass er auf Widerspruch stoßen wird. Aber so sollte er auch angelegt sein, weil meine eigene, manchmal zu forcierte Privatheit ihr Gegenstück, nämlich die wohltemperierte Öffentlichkeit benötigt, um in einer Art sinn- und sinnesfähiger Balance zu bleiben. Diese Notwendigkeit war der eigentliche Grund meines Bloggens. Ohne Austausch von Gedanken und Ideen, ohne Teilhabe an den Lebensentwürfen der Anderen, ohne die dialogische Ausgerichtetheit und Struktur unserer Existenz wären wir auf Dauer seelisch verkümmerte Pflänzchen. Privatheit nur als Reflex auf die überbordenden öffentlichen Übergriffe auszuleben, vorenthält uns die selbstbewußten Darstellungsmöglichkeiten unserer selbst. Und ich finde, wir haben uns mit den jeweiligen Blogideen viel Schönes und gegenseitige Bereicherung zu bieten. Wir schenken uns in der Tat “Kamera “und “Zeit” und “Gedanken”, gerade auch, weil sie unser Eigentum sind und bleiben werden und wir wissen, dass sie nicht mißbraucht werden.

      Liebe Grüße

      Achim

  5. Kein einfacher Beitrag!
    Ich glaube, dass jeder Mensch einen Rückzugsort benötigt, den er für sich zur Erholung aller auf ihn einstürzenden Eindrücke benötigt.
    Einen Ort, um ungestört Gedanken zu sortieren, Neue zu fassen und vor allem, um mit sich selber klar zu kommen und um zu lernen, sich selber zu verstehen.
    Dieser Rückzugsort ist privat.
    Ein schönes Weihnachtsfest wünscht Susanne

    • Hallo Susanne,

      zuerst meinen herzlichen Dank für deinen Kommentar. Ich habe es mir mit diesem Text tatsächlich nicht “einfach” gemacht, wie ich weiter oben schon ausführte. Mein Wunsch ist: Dass es uns gelingt, der allgegenwärtigen und allgewaltigen Vereinnahmungstendenz des Öffentlichen etwas entgegen zu setzen, was gleichwohl öffentlich verbleibt, aber in verlässlicher und vertrauensvoller Art kleine oder auch größere Nischen des Austauschs von Interessen, Gedanken und Ideen bereithält. Ich empfinde “unsere” Nische, die wir hier pflegen, als von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit geprägt, angenehm im Umgangston und als wirkliche Bereicherung. Als eine Art von Community, die Freude hat an der Mitteilsamkeit. Mein Blog öffnet mir immer wieder die Augen darüber, dass ich in früheren Zeiten der Selbstgenügsamkeit und Zurückgezogenheit verarmte. Nichts desto Trotz: Du hast vollkommen recht, Rückzugsorte müssen sein, um sich zu sammeln, Ideen auszubrüten, um diese dann dem Urteil der hier versammelten Bloggergemeinde zu übergeben 🙂 So, wie du es wohl auch für das Schaffen deiner Kunst benötigst.

      Liebe Grüße

      Achim

      • Guten Morgen, Achim,

        ich empfinde die Bloggergemeinschaft so wie du es auch beschreibst als Bereicherung.
        Der Austausch macht mir Freude und inspiriert mich und es ist auch notwendig, die Gedanken, die man fasst, zu teilen und zu diskutieren.

        Der Vorteil des Austausches der Bloggergemeinde gegenüber dem realen Kaffee ist, dass du dir aussuchen kannst, mit wem du kommuniziert. Sitzt du erst einmal real an einem Tisch mit mehreren Leuten ist das Aufstehen schwerer wie das “verlassen” eines Blogs.

        Ich finde es ganz erstaunlich, wie der Charakter des Blogbetreibers erkennbar ist und wie ich wie im realen Leben entscheiden kann, “Hier möchte ich kommunizieren und hier nicht!”

        Einen schönen ersten Weihnachtsfeiertag wünscht dir Susanne

  6. Lieber Achim,
    wünsche dir von Herzen, dass der (oder die) Himmel über dir immer weit und offen sein mögen und dass all das, was dir wichtig ist, Platz darunter findet – sei es das, was du für dich und bei dir behälst oder seien es die Dinge und Gedanken, die du mit anderen teilst. Wer weiß – vielleicht bringt der Himmel dir in der kommenden Woche sogar noch Schnee – wenn schon nicht zu Weihnachten, dann vielleicht zu deinem Geburtstag (und ich hoffe: er rieselt dann nicht in deine Wohnung ,-)

    Herzlich, K.

    • Liebe K.

      ich wünsche dir und “Dunson” wunderschöne, besinnliche und geruhsame Weihnachten. Schön, dass du hier kommentierst und ich verspreche hochheilig, dass ich gesprächig sein werde in Belangen, die mir mitteilungswichtig sind und verschwiegen, was die Schätze des Privatimen anbetrifft, Auch wenn die schönsten Himmel mich nötigen sollten, mein Innerstes nach Außen zu kehren 🙂

      Liebe Grüße

      Achim

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