John Constable – Der Schrecken und die Idylle

John Constable The Hay-Wain
John Constable – The Hay-Wain

John Constable präsentiert 1821 im Rahmen der Ausstellung der Royal Academy of Arts erstmals sein Gemälde The Hay-Wain (Der Heuwagen) der Öffentlichkeit. Die Kritik äußerst sich wohlwollend über das Bild und der Examiner konstatiert: “It approaches nearer to the actual look of rural nature than any modern landscape whatever.” Dieser Tatbestand ist insofern interessant, als es in der Geschichte der Malerei in England davor die Wiedergabe von Natur und Landschaft als eigenständiges Sujet nicht gab. Sie hielten nur als Szenerien für die Darstellung von Personen oder für die Veranschaulichungen von Ideen her.

Constables’ Bild ist für mich immer noch der höchste Ausdruck und ein Füllhorn dessen, was ich mir unter ländlicher, bukolischer Idylle vorzustellen vermag. Wäre meine Einbildungskraft ausgeprägt genug und meine handwerkliche Kompetenz annähernd kunstvoll, in etwa dieses Meisterwerk der englischen Malerei wäre dabei herausgekommen. So rede ich es mir zumindest ein und so fürchterlich sehnsüchtig schmachte ich  in meiner Tagesaktualität nach diesem einen Ort, der Flusslandschaft nahe Flatford Mill, der Mühle, südlich gelegen von Constables Heimatort East Bergholt in der englischen Grafschaft Suffolk. 

Die Sehnsucht nach der Idylle. Die Neigung hin zur Unversehrtheit ländlichen Lebens. Der Eskapismus, dessen Antriebskräfte in mir wuchsen, seitdem ich die Malereien von John Constable, William Turner und Thomas Gainsborough gesehen habe. In ihnen offenbaren sich utopische Orte, an denen ich leben möchte und unter deren Schutz mein Leben zwischen mäandernden Gedankenströmen und den Fluchtpunkten alles umfassender Ruhe oszillieren möge. 

Romantizismen, die ich in Deutschland für mich nicht lebbar machen kann. Das hat mit unserer Geschichte zu tun. Im Anschluss an die Barbareien des Nationalsozialismus ist es ein gefühltes Unding, derart schwärmerisch, unter Aufgabe aller Vernunft und kritischer historischer Betrachtung etwas ähnlich Traumverlorenes herbeizusehnen

W.G.Sebald, in einem kleinen Ort in Bayern geboren auf die Frage, was sein Verhältnis zu Deutschland bestimmt und geprägt hat:

 

“Aber klar, ich meine, als  ich hier 1944 im idyllischen, damals vom Krieg unberührten Allgäu geboren wurde, sind gerade die Juden von Korfu dort deportiert worden nach Ausschwitz. Genau in dieser Zeit, also im Mai 1944, waren die vier bis fünf Wochen unterwegs in einer Hitzewelle, in vernagelten Eisenbahnwaggons. Und davon kann ich natürlich nicht abstrahieren. Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich weiß, daß das geschehen ist, rechne ich das zusammen in meinem eigenen Kopf. Und insofern habe ich das, was in diesem Land geschehen ist und durch dieses Land geschehen ist natürlich auch als Teil meines eigenen Gepäcks, ganz gleich, wo ich hingehe. Da kommt man also so leicht nicht raus.”

(W.G.Sebald)

Er verließ Deutschland mit 21 Jahren und danach war es für ihn quantité inconnue.

Der andere Vorbehalt der Emigration gilt natürlich dem Vordringen der Urbanität in die Horte des Ländlichen. Hampstead in London ist das klassische Beispiel einer vom wölfischen Großstadttrubel belagerten  Idylle. Die Außenposten des Molochs rücken immer näher und Hampstead Heath wird irgendwann nur noch Geschichte sein.

John Constable Grave in Hampstead
John Constable Grave in Hampstead
 
London Hampstead
London Hampstead
London Hampstead Graveyard
London Hampstead Graveyard
Hampstead Graveyard

Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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13 Comments

  1. Eine neuer Tag, neuer Test. Bin bei WordPress eingeloggt und möchte hier endlich schreiben könen, wie toll dieser Blog ist und dieser Artikel im besondren.
    Herzliche Grüße
    Dina

  2. Hallo Dina,

    ich fasse es ja nicht, es hat funktioniert *freu
    Kannst du bitte kurz sagen, wie du jetzt vorgegangen bist? Es wäre für mich eine große Hilfe, auch um andere Blogger davon zu unterrichten, die hier in der Vergangenheit nicht kommentieren konnten. Du hast mich heute auf Klausbernd's Blog gefragt, ob du micht verlinken sollst. Ich würde mich darüber sehr freuen. Meine nächsten Blogbeiträge werde ich gleichzeitig hier und auch auf http://medusasmile.wordpress.com veröffentlichen. So dass du aussuchen kannst, welchen Blog du verlinken möchtest. Die Arbeit mit WordPress ist mir noch ein wenig fremd, ich muss da noch viel lernen. Aber schon in den nächsten Wochen hoffe ich dort meine neue Blogheimat gefunden zu8 haben.

    Herzliche Grüße an dich

    Achim

  3. ich habs gerade bei Klausbern gelesen, dass du umgezogen bist! FREUDE … da werde ich doch gleich einmal verlinken. Du schreibst wunderbare Artikel, aber gerade jetzt bin ich zu müde für einen differenzierten Kommentar.

    we read us 🙂
    herzlichst Ulli

    • Hallo liebe Ulli,

      schön, dass du den Weg hierher gefunden hast 🙂 Ich freue mich auf jeden deiner Kommentare, egal ob “differenziert” oder nur als Hinweis darauf, dass du meine Sachen liest. Freue mich aber auch auf Kritik, falls ich z.B. umständlich, kryptisch oder unverständlich schreiben sollte. Meinen Hang zur Verwendung vieler Fremdwörter magst du bitte verzeihen, aber ich liebe sie 🙂

      Liebe Grüße

      Achim

  4. Reblogged this on kbvollmarblog und kommentierte:
    Diesen Text über die Doppelbödigkeit der englischen Idylle fand ich auf dem hervorragenden anglophilen Blog von Achim, dem Rambling Brother. Auch ich fröne in meinem kleinen Dorf am großen Meer in Norfolk den Romantizimen, obwohl ich nicht im rosenumrankten Cottage wohne und auch keine Leiche in der Garage liegen habe. Jekyll und Hide scheinen hier auch noch nicht herumzulaufen, aber wer weiß.
    Danke, lieber Achim, für die feine Darstellung von Romantik und Grausen, die besonders in England als die beiden Seiten der gleichen Münze gesehen wurden.
    Euch allen viel Vergnügen beim Lesen
    Klausbernd

  5. Gustav Heinemann wurde einmal gefragt: “Lieben sie Deutschland?” Darauf antwortete er prompt: “Ich liebe meine Frau.” Der war mit Sicherheit kein Deutschland-Verachter, sonst hättet er sich nicht zum Präsidenten wählen lassen. Ich glaube auch nicht, dass so einer sich ‘schuldig’ fühlte. Der hatte aber eine Verantwortung seinem Land gegenüber und der Menschlichkeit insgesamt. Nachdem man es sich nicht aussuchen kann, wo man geboren ist, hat man aus seiner Geschichte zu lernen (aber nicht daran zu verzweifeln, egal wie schlimm das alles war).

    “Wer hofft, dass Träume wahr werden, der muß auch immer mit Albträumen rechnen.” Den Verfasser dieses Satzes kann ich nicht benennen, aber der passt so gut zu meinem Buchtipp, der handelt von dem Glauben an die Utopie. Das wunderbare Buch wurde geschrieben von Alfred Kubin und heißt: Die andere Seite. ISBN 978-3-518-22444-1

    Danke für Deinen Artikel, der mir Raum gegeben hat, darüber nach zu denken.
    Liebe Grüße mick.

    • Lieber Mick,

      man kann es sich nicht aussuchen, richtig. Jedoch machen mir die Entsetzlichkeit des Nationalsozialismus ein wirklich unverfängliches Zutrauen in die Lernfähigkeit der Deutschen bis heute nicht möglich. Immer wieder daran zu erinnern und eventuellen Neuanfängen zu wehren, das ist meine Verantwortung MIR selbst gegenüber.

      Lieber Gruß

      Achim

      • Lieber Achim,

        ich habe auch kein unverfängliches Zutrauen in die Lernfähigkeit der Deutschen. Sie sind so menschlich wie alle Menschen. Und insoweit verdienen auch sie, wie alle Menschen, eine Chance. Immer wieder. Es gibt keine Erbsünde und keine Erbschuld. Aber es gibt eine Verantwortung. Aus der müssen wir lernen. Andernfalls können wir einpacken und zwar überall auf der Welt. Ich bin Deutscher aber ich bin nicht Schuld daran, was hier vor 50, 70, 100 oder sonst wie vielen Jahren passiert ist. Ich habe Geschichte studiert, weil die Deutschen im tausendjährigen Reich so viel Unheil über die Menschen gebracht haben. Es war für mich einfach unfassbar. Und es regt mich heute mehr auf als jemals zuvor. Denn fassen kann man das nicht. Da gebe ich dir Recht. Und auch da ich bin ganz bei Dir: Immer wieder daran zu erinnern und eventuellen Neuanfängen zu wehren, das ist meine Verantwortung MIR selbst gegenüber.
        Das empfinde ich ganz genau so!

        Liebe Grüße mick.

  6. Ist es nicht ein Traum der Menschheit eine vollkommenen Idylle (das Paradies) zu finden?
    Nicht nur als Bild, sondern auch in der Dichtung, der Bildhauerei und Musik.
    Der Mensch hat eine schwierige Natur – es wird in keinem physikalischen Ort dieser Erde das Paradies geben – an jedem Ort wird aufgrund genau dieser Natur des Menschen Blut vergossen worden sein.
    Wo also ist dieser Ort, den wir alle nicht nur in den Künsten suchen?

  7. Bereits der frühromantische Philosoph Friedrich Schlegel betont in seinen ästhetischen Schriften, dass die Idylle immer auch mit dem Hässlichen verbunden ist. Das Schöne und Hässliche gehören zusammen, schreibt er gegen die Harmoniesucht der Klassiker.
    Liebe Grüße aus der Idylle
    Klausbernd und seine Buchfeen Siri und Selma

    • Lieber Klausbernd,

      bei Kant umfasste die ästhetische Erfahrung nur das Schöne und Erhabene. Was als schön zu gelten habe, setzte er einerseits in das subjektive Urteil des Einzelnen. Gleichzeitig aber, durch den Umstand, dass in allen schönen Künsten die “Form” wesentlich sei, ist das Schöne durch die Form auch in verstandesmäßigen Begriffen objektiv fassbar und notwendig einsehbar. Vom Schönen setzte er das “Erhabene” ab, da es Prinzipien der Unordnung umfasst, die vom Ordnungswillen der Form verschieden sind. Das Erhabene kennt keine Grenze und keine Ordnung. Kant hat den Begriff des Erhabenen zum Beispiel für die Wirkungen eingesetzt, die uns angesichts von Schrecknissen (Naturkatastrophen etc.) schaudern und erschauern lassen. Man könnte dies nun ausdehnen auch auf die Erfahrung von Hässlichkeit. Obwohl er ihn selbst nie auf das Hässliche ausdehnte, liegt in dem Begriff des Erhabenen durchaus die Potentialität der Ausdehnung auf das, was tatsächlich erst in der Romantik als ästhetische Kategorie des Hässlichen mitgefasst wurde.

      Liebe Grüße

      Achim

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