Fussball, Emanzipation und Spieltheorie

WürfelWas ist Fussball anderes als das perfekte Geflecht von Ersatzhandlungen, getätigt durch all jene, die ansonsten unter dem Diktat von Verdrängungen leben. All die Geknechteten, politisch, ökonomisch und sozial, die die turnusmäßige Chance nutzen, in jedem zweiten Jahr sich dem großen Gefühl nationaler Eintracht und Gemeinschaft in die Arme zu werfen. Der Fussball als Theater, in dem sogar das Gelingen der Frauenemanzipation augenfällig ist. Immerhin ist der Frauenanteil der Besucher in den Stadien auf fast 40 Prozent gestiegen. Hier wird die Frauenquote tatsächlich gelebt. Böse Zungen behaupten freilich, dass genau diese Entwicklung nichts anderes zeigt, als dass die Frau noch keine emanzipatorische Reife zeigt, wenn sie sich in das männliche Krakeelen, den Besinnungslosigkeiten des Jubilierens, den emotionsgesteuerten Tsunamis von Wut und Euphorie  nahtlos eingliedert.
Als Mann, der den Fussball leidenschaftlich liebt und lebt, sollte ich mich des Themas Emanzipation feige enthalten. Als Träger des Hormons Testosteron wird mir kein unverfänglicher und sachlicher Blick darauf je möglich sein. Da hoffe ich auf die Frauen selbst, die mir zeigen, wo es wirklich lang geht.
Rede ich deshalb einfach nur von mir selbst. Europameisterschaft 2012. Nein, ich lasse mir keinen Bart wachsen, solange wir bei der EM dabei sind. Nein, ich werde mich nicht der Probe des Coolseins unterwerfen, dem verführerischen Gedanken aussetzen, intellektuelle und sachliche Distanz zu halten zu diesem Spiel.  Warum denken, wenn das Krakeelen, das Wutschnauben, der emotionale Overkill durch meine Adern rast? Zurück zum Jäger und Sammler. Zurück zum archaischen Urzustand von Actio und Reactio. Jeder gelungene Pass, jedes erfolgreiche Dribbling, jedes Tor trägt etwas in sich, was der Wiederbelebung der metaphysischen Betrachtungsweise unseres Lebens nahekommt. Ich muss gestehen, dass dieses Spiel meine Haltung zur Trennung des Sakralen vom Säkularen ad absurdum führt. Mein “religiöser ” Eifer nimmt in Zeiten solcher Turniere exponentiell zu.
Sollen sich die Spieltheoretiker ihre eigenen Gedanken darüber machen, ob sich der Fussball als Anschauungsobjekt der Analyse strategischer Entscheidungssituationen und sozialer Interaktion eignet.
Die Holländer gestern werden mir zustimmen: Fussball ist Chaos, Fussball ist irrational. Fussball ist nicht gerecht. Wie Napoleons geschlagene Armeen werden am kommenden Mittwoch die Marschkolonnen der Wohnwagen unserer Nachbarn den Rückzug aus der Ukraine antreten. Oder auch nicht.
Achim Spengler
Achim Spengler

Hier finden Sie Beiträge zur britischen und amerikanischen Literatur, zur Geschichte Großbritanniens und Irland. Auch Betrachtungen zur Philosophie kommen nicht zu kurz. Sie können mich aber auch zu Reisen nach Irland, England, Wales und Schottland begleiten.

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3 Comments

  1. Um dich mal aufzuklären, mein Freund: Die Partizipation der Frauen beim Fußball enthüllt einzig deren Sehnsucht, in der Mitte frauenrechtlich durchkämpfter Jahrzehnte endlich auch einmal in aller Öffentlichkeit einen dicken Furz fahren zu lassen:-)

    Ansonsten: Auf zum nächsten Gefecht !

    Kind regards,
    your Testosterontempel

  2. “Böse Zungen behaupten freilich, dass genau diese Entwicklung nichts anderes zeigt, als dass die Frau noch keine emanzipatorische Reife zeigt, wenn sie sich in das männliche Krakeelen, den Besinnungslosigkeiten des Jubilierens, den emotionsgesteuerten Tsunamis von Wut und Euphorie nahtlos eingliedert.”
    Für mich zeigt dies lediglich, dass der Unterschied zwischen Männern und Frauen auf Konventionen beruht, wenn diese fallen, wird er kleiner.

  3. Dann bleibt nur zu hoffen, dass die Tempel männlich dominierter Konventionen fallen und die Frauen nachhaltig, wenn nicht sogar federführend, an der Aushandlung neuer sozialer Normen beteiligt sein werden .

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