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Letzte Sätze 7 – John Banville – Die See

John Banville - Die SeeDer Himmel war dunstverhangen, kein Lüftchen bewegte das Wasser der See, an deren Ufer sich in einer langen Linie die kleinen Wellen lustlos brachen, um und um, wie ein Saum, den eine schläfrige Näherin wieder und wieder wendet. Es waren nur wenige Leute am Strand, und diese wenigen waren weit von mir entfernt, und irgendetwas in der dichten, reglosen Luft machte, dass es so schien, als kämen ihre Stimmen von noch weiter her. Ich stand bis zur Taille im Wasser, das vollkommen durchsichtig war, so dass ich unter mir ganz deutlich den gewellten Sand des Meeresbodens sehen konnte und kleine Muscheln und zerbrochene Krabenscheren und meine Füße, fahl und fremd, wie Präperate unter Glas. Und während ich dort stand, ging plötzlich, nein, nicht plötzlich, eher wie ein allmähliches Heranwallen, ging da ein Wogen durch die ganze See, und das war keine Welle, sondern ein sanft rollendes Ansteigen, das aus den Tiefen heraufzukommen schien, als hätte sich dort unten ein gewaltiges Etwas geregt, und ich wurde kurz hochgehoben und ein Stückchen näher zum Ufer hin getragen und abgesetzt und stand wieder auf meinen Füßen, als wäre nichts geschehen. Und es war wirklich nichts geschehen, ein bedeutungsschweres Nichts, nichts als einfach nur wieder einmal ein gleichgültiges Achselzucken der großen Welt.
Eine Krankenschwester kam heraus, um mich zu holen, und ich drehte mich um und folgte ihr ins Haus, und es war, als ginge ich in die See.

(John Banville – Die See – The Sea)

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