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Zersetzung der Demokratie
Was die Anzahl der Parteien betrifft, bewegt sich die deutsche Parteienlandschaft schleichend in Richtung Weimarer Republik. Der Zwang zur Koalitionenbildung steigt. Die sogenannten Volksparteien befinden sich im Aderlaß vorenthaltener Wahlprozente. Sie verlieren markante Gesichter programmatischer Wiedererkennbarkeit. Der Überlebenskampf lähmt, es kommt zu Rotationen, Reibungsverlusten im innerparteiischen Streit. Gesichtslose Apparatschiks mit gewichtslosen politischen Überzeugungen. Die Demokratie der Postmoderne befindet sich in einer Endlosschleife des Kampfes um die Wählergunst, gleich wie die Katze, die sich in den Schwanz irgendeiner Illusion zu verbeißen versucht. Die Zersetzung der Demokratie beginnt.
Die Wetterwendischkeit hat Hochkonjunktur und der Ausverkauf der Identifikationen mit politischen Zielen ist mehr und mehr spürbar. Schon merkwürdig, dass das wiedererkennbare politische Gesicht in Würde alterte und eine Mentholzigarette zur Verlängerung seiner Gedanken nutzt. Und das andere an den Rollstuhl gefesselt ist und allen Attacken sprachlicher Behinderung zum Trotz statuarisches Gewicht vermittelte. Und wie ist der Zustand auf der Seite des Wählers? Dessen Ichbezogenheit steht im Zentrum seiner politischen Wahlentscheidungen. Es geht um Steuern, Krankenversicherung und Arbeitsplatzsicherheit. Es geht um Pfründe und kleinliche Ansprüche an die Partei, der er sich nahe fühlt. Er sieht sich zerrissen zwischen Privatheit und egomanischen Auftritten in sozialen Netzwerken.
Die Gefahr für die Demokratie lauert nicht an den Rändern rechter oder linker Ideologien, auch nicht in der Konspiration des terroristischen Islamismus. Die Gefahr lauert in uns. Wir richten unsere Entscheidungen ausschließlich nach dem Grad unserer individuellen Nöte aus, in denen wir uns zu befinden glauben. Der Sinn für das Gemeinwesen endet an der Grundstücksgrenze der Raffgier, oder, als Gegenentwurf, an der Barriere sozialer Ausgegrenztheit. In diesen unseligen Zeiten wählen wir kein Programm, sondern lediglich die Versprechungen von Programmen. Versprechungen, die sich einander ablösen wie die Rosen im Rosenkranz. Dauerhaft politisch nicht durchsetzbar ersetzen sie die Gesichter der politischen Repräsentanten. Beliebig und austauschbar. Die Demokratie verliert ihre Verlässlichkeit und ihre Wehrhaftigkeit. Reactio, nicht actio, ist die Losung des Tages.