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Bücher und Pflastersteine

Wenig wahrscheinlich ist, dass der Mob Sören Kierkegaard’s “Furcht und Zittern” gelesen hat. Auch ist kaum zu hoffen, dass just dieses Buch den Mob aus der Dekoration heraus erzieherisch ins Auge fasst. Die Achtung vor dem Wissen lässt sich dem Mob in seiner mutmaßlichen Bildungsferne nicht eben mal durch die zwangsverabreichte Lektüre von Werken philosophischer Hochkaräter einbleuen. Vermutlich hat der Mob gar nichts gelesen. Und es liegt vielleicht in diesem Umstand der Grund, warum die Tempel der Buchwelten nicht in den Brennpunkt seiner blinden Wut rücken. Die Zerstörung ist ja eine Form des negativen Begehrens. Nur muss ich vom Objekt des Begehrens auch etwas wissen und kennen und hassen, bevor ich es zerstöre.
Vielleicht würde man aber auch unter den Kapuzen und Masken des Mobs das hundertfach vervielfältigte Gesicht wiedererkennen, so wie es Edvard Munch in “Der Schrei” ins kollektive Schreckensgedächtnis gemeißelt hat. Das pure Entsetzen beim Rascheln von Buchseiten, beim Geruch bedruckten Papiers.
Wirklichkeitsfremd wie ich bin stelle ich mir vor, dass der Blick der Marodeure auf meinen Lieblingsbuchladen fällt. Und in diesem Moment am Horizont jedes Begriffstutzigen das Wetterleuchten einer Ahnung aufzieht. Und eine Eingebung vermittelt. Eine Eingebung, die in Furcht und Zittern gipfelt. Dass es da noch etwas geben könnte, um das es sich zu kümmern lohnt. Empathie vielleicht. Oder Mitleid. Oder Achtung vor der sauer verdienten Existenz jedes Einzelnen. Oder Einsicht in die sinn- und seelenlose Maschinerie der Gewalt. Oder Kierkegaards “qualitativer Sprung” hin zu einem Glauben an eine bessere Welt, auch wenn diese sich aktuell einem solchen Glauben strikt verweigert. Das Lesen von Büchern rettet am Anfang nichts und niemanden. Das aber, was wir schätzen und lieben, verbrennen wir nicht. Oder doch?